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Follow the River – die Pegnitz und ihre Geister

  • Freitag, 30. Juni 2023
  • 96,7 km + 500 HM
  • 13,5 Stunden

Frühere Gedankenspiele

Flusslaufen – irgendwie hat sich diese Spielart des Landschaftslaufs still und leise zu einem meiner Favoriten entwickelt. Immer von der Quelle zur Mündung, vom Ursprung zum Übergang in etwas Neues, eine Entwicklung von der Geburt zum Übergang. Laufen als Philosophie. Etwas hochtrabend? Ja, ein wenig, aber manchmal hat man beim Laufen viel Zeit, um über Gott und die Welt nachzudenken.
Nachdem ich schon einige kürzere und längere Flüsse abgelaufen bin, der Schwesterfluss Rednitz und die große Regnitz entdeckt wurden, fehlte nur noch DER Nürnberger Fluss: die Pegnitz
Ursprünglich wollte ich sie zusammen mit der Mareike entdecken. Sie auf dem Rad und ich zu Fuß. Unterwegs eine nette Pension und ein gutes Abendessen und das Ganze auf zwei Tage aufgeteilt. Ja, das war der Wunsch.

Die Aktion

Die Vorzeichen haben sich, wie im Beitrag vom UTLW erwähnt, geändert, der Fluss wird mir alleine gehören, aber wie mit dem über 90 km langen Lauf vorbei an Orten voller Erinnerungen umgehen, wie die vielen Rückblicken handhaben? Mir ist zuerst nur klar, dass ich trotzdem laufen möchte, nach vorne schauen möchte und beginne über die Umsetzung nachzudenken. Welche Herausforderung wird die größte? Die Versorgung mit Essen und Wasser. Ich könnte nun früh am Morgen starten (im ländlichen Raum kommt dafür auch nur Montag bis Freitag in Frage) und versuchen den ganzen Fluss im Lauf eines Tages zurückzulegen, müsste dann aber mit den hohen Temperaturen klar kommen oder ich laufe durch die Nacht, kann nur einmal am Abend noch etwas besorgen und müsste dann im Zweifelsfall Nachts auf offene Friedhöfe hoffen, habe dann aber angenehmere Temperaturen (das auch dies nicht immer zutreffend sein muss, durfte ich beim BETHANG erfühlen).
Ich entschied mich für die Kombination Nachmittags starten, durch die Nacht laufen und hinein in den Sonnenaufgang geraten – vom Ende zum Anfang, durch die alten Erinnerungen hin zu etwas Neuem. Schon wieder Philosophie.
Zum Geburtstag wenige Wochen zuvor wünsche ich mir von meiner Familie Unterstützung für dieses Projekt: PKW Abholung am Ziel und ein anschließend entspanntes Abendessen in „meiner“ Vereinsgaststätte beim TSV Katzwang 05.

Mit der S-Bahn von Schwabach nach Nürnberg und dann mit dem RE weiter nach Pegnitz – die Anreise gestaltet sich unkompliziert und geht erstaunlich schnell. Dazu kommt der wirklich faszinierende Streckenverlauf durchs obere Pegnitztal mit Brücken und Tunneln so weit das Auge reicht.
Die Quelle der 113km langen Pegnitz erreiche ich vom Bahnhof der gleichnamigen Stadt aus nach wenigen Minuten. Gut markiert und schön eingefasst stellt sie um 15:30 einen hübschen Startpunkt für meine Aktion da.
Im Ort muss ich noch etwas die elektronische Navigation bemühen, um meinen Fluss nicht mit der Fichtenohe (dem eigentlich größeren Zufluss der Pegnitz) zu verwechseln, aber sobald die Ortsgrenze hinter einem liegt, ist der Streckenverlauf selbsterklärend (die Navigation läuft trotzdem immer mit, damit ich auf der angedachten Flussseite unterwegs bin, um so nah wie möglich dem Verlauf folgen zu können). Der Verlauf bis kurz vor Hersbruck ist durch die enge Tallage geprägt, durch welche sich das Wasser mäandernd seinen Weg bahnt. Wirklich ein Traum. Hier kann ich auch größtenteils noch im Hellen laufen. Allerdings werde ich permanent von Regenwolken eingeholt und bin vom ersten Kilometer an schon von oben bis untern völlig durchnässt. In den Regenpausen wartet nasses Gras auf mich und erinnert mich daran, dass dies heute kein Spaziergang werden soll. Die blasenübersäten Füße waren ein Ergebnis dieser Bedingungen, aber nur ein kleines, notwendiges Übel – und irgendwie fühlt es sich auch gut an, wenn es nicht ganz so leicht ist…

Alle möglichen Friedhöfe, Supermärkte (mit Öffnungszeiten), Bahnhöfe mit Kilometerangaben habe ich vorsorglich herausgesucht und mir notiert – Vorbereitung ist nicht immer schlecht. Dazu kommen 3 Liter Flüssigkeit + einige Riegel im Rucksack (die Dose Finisherbier nicht eingerechnet, die ich seit dem Start mitschleppe ;). Als ersten und vielleicht einzigen Stopp sehe ich aber bei ca. 21km nur den EDEKA in Neuhaus an der Pegnitz mit seiner bekannten Burg Veldenstein vor – und mehr brauchte ich auch nicht, weil ich in Ottensoos, kurz vor Lauf, Nachts einen Brunnen mit Trinkwasser fand, an dem ich mich bedienen konnte. Alles in allem habe ich zu viel zum Trinken dabei gehabt und damit den Rucksack unnötig schwer gemacht.

Kurz nach dem Start erwischte ich auch dann die einzige Stelle des Laufes, bei der die gewählte Streckenführung nicht gut war. Auf völlig zugewachsenen Wegen durchs Gestrüpp, über eine hohe Leitplanke hinüber – Nein, das geht bestimmt schöner. Danach wurde der Weg aber viel besser laufbar, als ich gedacht habe. Viel Asphalt, feste Wanderwege, selten Pfade über Wiesen, weshalb ich schneller vorwärts komme, als es geplant war. Die ursprünglichen Überlegungen, die ich mit Flo angestellt hatte, sahen ca. 15 Stunden vor und dies war auch meinen Eltern als Ankunftszeit am Samstag Morgen mitgeteilt worden. Normalerweise sind die Wege in den letzten Jahren immer schwieriger gewesen, hatten ungewohnte Herausforderungen bereit gehalten, aber das es auch einmal anders herum gehen kann, ist mir nicht passiert – bis jetzt. Deshalb stehen meine Eltern schon gegen drei Uhr Nachts auf, um sich fertig zu machen, etwas zum Essen und Trinken einzupacken und rechtzeitig am Zielpunkt mich in Empfang nehmen zu können – Wow, dafür nochmal vielen, vielen Dank.

Bei der Streckenplanung stand ich vor der Wahl, mich mehr an den Radwegen oder mehr an den Wanderwegen zu orientieren. Ich entschied mich für die Wanderwege, weil sie näher am Fluss bleiben (eine Prämisse aller meiner Flussläufe) aber im Nachgang betrachtet, wären die Radwege für die Nacht sogar geschickter gewesen, weil sich dann leichter ein Flow einstellt. Ich würde die Strecke mit der gemachten Erfahrung aber trotzdem nur punktuell verändern.

Und meine Geister? Die tauchten an vielen Stellen, an sehr vielen Stellen auf. Kanufahren, Gaststätten, Umtragestellen, Altstadtfest Hersbruck, Therme Hersbruck, Wöhrder See, BETHANG, Regnitz-Radweg, Theodor-Heuß-Brücke. Kilometer für Kilometer lief ich durch Erinnerungen und Ereignisse, durch mein Gedächtnis, welches sehr visuell arbeitet und mir Film für Film präsentierte, und dann begannen die Vögel zu zwitschern, etwas später dämmerte es, Stück für Stück, Schritt für Schritt brach ein neuer Tag an und um halb fünf stand ich am Zusammenfluss von Rednitz und Pegnitz, öffnete mein gut geschütteltes Bier und war über diesen Lauf mehr als froh.

Euer Thorsten

Finish