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BETHANG – wir hatten noch eine Rechnung offen

  • Samstag, 18. Juni 2022
  • 132 km
  • 780 HM
  • 23h 59min 19sec

Vorgeschichte

Wie viele Läufer haben sich schon an dieser Strecke, diesen Wanderweg rund um die Städte Nürnberg, Fürth, Erlangen probiert? Spontan fallen mir, mich eingeschlossen, fünf ein, die den Versuch wagen wollten. Sogar mit Presse und Zeitungsartikel wurde der eine Versuch dokumentiert – nur leider hat es nicht geholfen. Solche Strecken außerhalb einer Veranstaltung mit Versorgung, Streckenposten, Drop-Bags usw. ist kein Selbstläufer.
Ich musste bei meinem ersten Versuch, wegen einer starken Migräneattacke am Abend vorher, schon nach 20 km abbrechen. Meine zwei Freunde Hansi und Flo wollten diesen Lauf dann ohne mich nicht beenden und landeten in Erlangen auf dem Berg. Das ist aber eine andere unterhaltsame Geschichte von Freundschaft und der Lust am Leben…
Damals haben wir die Strecke im Uhrzeigersinn probiert und uns schon über die mangelhafte Beschilderung etwas geärgert.
Aufgeben? Nein! Direkt an unserem Vereinsgelände führt die Strecke vorbei, ist also quasi unsere „Hausrunde“. Ein neuer Versuch muss her!

Willkommen im Jetzt

Im Gegensatz zu vielen meiner Projekte steht mir meine Mareike als mobile VP dieses mal nicht zur Verfügung, d.h. ich muss mich irgendwie selbst versorgen. Bei einer solchen Strecke nicht ganz ohne.
Eine starke Hitzewelle ist zusätzlich angekündigt: Tagsüber über 30 Grad, in der prallen Sonne (und davon gibt es bei einem wolkenlosen Himmel mehr als genug) sehr viel mehr. Nachts nicht unter 20 Grad warm. Die Getränkeversorgung bereitet mir schon im Vorfeld Kopfzerbrechen.
Sonntag, also der zweite Tag, hat kein Supermarkt offen… Tankstellen? Bäcker? Abwarten.
Dieses Mal möchte ich gegen den Uhrzeigersinn laufen, also ganz in der Leichtathletik Tradition, um am nördlichsten Punkt der Strecke schon mehr als die Hälfte geschafft zu haben und die letzten 30 km auf mir sehr, sehr gut bekannten Wegen zurückzulegen. Dazu könnte ich auf dem letzten Abschnitt auch noch bei meinem alten Zuhause, bei meinen lieben Eltern, aufzuschlagen.
Das ich am Freitag wegen einem 60. Geburtstag mit vielen Getränken und einer Übernachtung in einer Pension nicht den meisten Schlaf gefunden habe, war nicht förderlich, aber ging sich zeitlich nicht anders aus.
Dazu kommt, dass ich dieses alleine laufen möchte, keine Unterstützung da ist, ich mich aber nur auf meinen Körper konzentrieren kann.

Samstag kurz vor 13 Uhr geht es los. Die Sonne brennt einem den Kopf von Körper. 3 Liter Flüssigkeit habe ich zusammen mit vielen anderen Dingen, wie Stirnlampe, Ersatz-Akkus, Oregon + Akkus, Powerbank, Ersatzshirt in einem schweren Rucksack.
Ich muss sehr schnell viel trinken, damit der Körper schwitzen und noch mehr schwitzen kann. Er muss hinunterkühlen. Anstiege werden konsequent gegangen. Bis zur Nacht werde ich vermutlich 1 Liter pro Stunde benötigen. Das klappt nur, weil ich ständig Salztabletten zu mir nehme. Noch einmal passiert mir nicht so ein körperlicher Zusammenbruch, wie 2020 auf Gran Canaria mit der Wasservergiftung. Die Strecke schlängelt sich über den Glaserberg in den Reichswald durch Laufamholz und weiter nach Erlangen. So gut wie nie ist sie schwer zu laufen, aber ich werde gezwungen zweimal im Supermarkt nach zu kaufen und bin in der Spitze mit bis zu 4 Litern Wasser ausgestattet. Der Rucksack liegt wie blei am Rücken und senkt das Tempo. Ich laufe aber noch einigermaßen und komm gut vorwärts.

Beim Sonnenuntergang am Flughafen bekomme ich aber ein wenig Angst, ob das Wasser die ganze Nacht hindurch ausreicht. Ich werde vermutlich für Stunden keinen offenen Friedhof finden, einen Supermarkt aufsuchen können oder einen offenen Tankstellenshop zu Gesicht bekommen.

In Neunhof entdecke ich noch einen offenen Biergarten um kurz vor 9 und gönne mir noch eine Radlermaß. Keine 5 Minuten später ist sie weg und ich um eine irritiert guckende Bedienung reicher. Wasser auf der Toilette auffüllen und rein in die letzten Sonnenstrahlen.


Nördlich von Erlangen wird die Strecke zäh. Irgendwann verfalle ich mehr ins Gehen als ins Laufen (und dann auch nur eine Pace von über 8 min/km). Ich merke, wie meine Körperhaltung immer stärker vornüber gebeugt ist. Das dies noch Probleme bereiten wird, ist mir klar, aber ich kann nicht anders. Steckmücken bearbeiten meine Beine und Knöchel bis zur Ekstase. (Nachtrag: der rechte Knöchel ist zwei Tage danach, noch druckempfindlich, knallrot und angeschwollen) Die unglaublich vielen Glühwürmchen und die lieben Worte meiner Frau per WhatsApp sind hier aber ein wunderbarer Segen. Ich stapfe durch die Nacht, habe manchmal vor den Geräuschen etwas Angst, bin im nächsten Moment aber wieder eins mit mir und wo anders.
Ich werde müde und merke die Fußsohlen. Aufgeben ist nach den sportlichen Problemen der letzten zwei Jahren aber keine Option mehr. Die letzten Monate haben so viele Veränderungen, die nicht alle gewollt waren, nach sich gezogen, dass der alte Thorsten auf die Strecke gegangen ist – und das bedeutet, dass ich unter allen Bedingungen mich vorwärts bewege, bis ich mein Ziel erreicht habe.
Hier im Norden gibt es nur wenige Markierungen und ich halte permanent mein Oregon in der Hand und schaffe es so, mich nicht zu verlaufen.
Ich kann das Wasser langsam nicht mehr sehen und halte in den Ortschaften nach Automaten Ausschau. Siehe da! Mitten in einem Dorf zwischen Erlangen und Fürth, die Ortsnamen lösten sich in Rauch auf, entdecke ich einen Eisverkauf auf dem Bauernhof. Um 4 Uhr Morgens lass ich mir ein Capri raus. Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll. Wie ein kleines Kind packe ich dieses Eis aus und genieße es. Ein Traum!!!


Kurze Zeit später dämmert es langsam und Flo nimmt unerwartet mir mir Kontakt auf.
Er will mir Essen und Trinken vorbeibringen. Ich lehne ab – und er fährt trotzdem los. In Burgfarnbach entdecke ich kurz vor 7 einen offenen Friedhof und jubiliere vor so viel Glück, dass ich Wasser bekomme. 4 Liter sind wieder voll und ich kann den Zwischenstopp bei meinen Eltern auslasen (3 Extrakilometer hören sich nicht mehr gut an) und direkt nach Hause wandern. Seit einigen Stunden wandere ich schließlich schon und laufe kaum noch. Und dann steht er hinter mir: Flo der Meister der Überraschung – und er hat Bier dabei.
Alkohol beim Laufen? Schwieriges Thema und würde ich niemanden bei einem Wettkampf empfehlen – aber in diesem Moment in diesem Rahmen ist die Vorstellung mit einem guten Freund für einen Moment zu sitzen, zu reden und zu lachen unbezahlbar. Psychisch ist dieses Treffen unbezahlbar.

Mit neuem Schwung laufe ich durch den Fürther Stadtwald hinüber nach Stein, finde noch einen Friedhof und einen Brunnen zum abkühlen. Die Sonne brennt seit kurz nach 8 Uhr wieder bestialisch und ich leide, Der Rücken ist vom Rucksack im unteren Bereich wund. Ich ziehe die kurze Hose höher, um ein Polster zu haben (OK, dafür pappt die Hose an der Wunde fest, aber das ist erträglicher). Der rechte Fuß pocht nun endgültig. Trotz Verwendung von Hirschtalg brennen die Beininnenseiten und der Rücken ist so verspannt, dass ich letztendlich sogar zeitweise den Rucksack in der Hand trage. Der Sonnenstich macht sich zum Glück erst daheim bemerkbar. Ein verdammt guter Freund und gleichzeitig mein Schwager erkundigt sich mehrfach bei mir, ob alles passt, will mir auch etwas vorbeibringen. Mein Bruder bietet mir seine Hilfe an. Ja, ich kann mich über die Menschen um mich herum nicht klagen, kann nur Danke sagen, dass es euch gibt.


Ich schleppe mich weiter an der Rednitz entlang nach Katzwang. Beim Versuch einen umgestürzten Baum unten zu durchqueren falle ich auf die Knie – lache – krabble ein Stück – stehe auf – und wandere weiter. Leichte Schlangenlinien inklusive, aber ich habe dieses Ziel und ich werde es erreichen. Die Selbstzweifel der Nacht sind verflogen. Flo ruft mich 1-2km vor dem Ziel an, weil er schon am Ziel, dem Vereinsgelände, der Vereinsgaststätte mit Biergarten auf mich wartet und ein Weizen bestellt hat. Ich beginne wieder zu laufen. Nun will ich es doch noch in unter 24h schaffen.
Vornübergebeugt wanke ich über die letzte ausgedörrte Wiese, über den letzten Sandweg und erreiche nach 23h 59min und 19sec das Ziel. Ich könnte vor Glück weinen. Dieser Lauf hat mir viel bedeutet, Gab mir ein Stück meines Selbstbewusstseins zurück und mir gezeigt, wie wichtig Freunde sind.


Euer Thorsten

Weitere Fotos findet ihr auf NIKON Image Space