- Samstag, 19. September 2020
- 34,7 km + 3050 HM
- 9 Stunden
Vorgeschichte
Schon einmal stand ich in den frühen Morgenstunden am Fuße des Wettersteingebirges, hatte einen Auf- und Abstiegsplan ausgearbeitet und war hochmotiviert Richtung Zugspitze gestartet. Dieses damals war im Frühjahr 2019 und ein verspäteter Wintereinbruch im April hatte das Zugspitzplatt zugeschneit und den Aufstieg vom Sonnalpin über die steile Schotterfläche und die drahtseilversicherte Steinplattenkraxelei auf den letzten 400 HM vereist. Die 2 Meter Sicht im Nebel taten ihr übriges dazu und ein Abbruch und die Nutzung der Technik vom Sonnalpin rauf auf den Gipfel war unumgänglich – oben konnte ich noch nicht einmal das Gipfelkreuz sehen…
Das ruft nach Wiedergutmachung!
Planung
Vorgesehen war der Start in Grainau an der Unterkunft, ein langer Bogen über den Eibsee, Eibseeblick, Koppensteig bei Ehrwald, Erwahlder Alm, Gatterl, Knorrhütte, Gipfel. Dann Essen und über Knorrhütte, Reintal, Garmisch zurück zum Hotel. Gut 61 km und 3100 HM. Im Aufstieg sollten es ca. 6h und im Abstieg 4-5h werden – so der Plan.
Los geht´s
Heute kein Nebel!!! Strahlender Sonnenschein und traumhafte Fernsicht – Danke lieber Wettergott! So lautet die Wetterprognose. Noch ein Wetterabbruch hätte mich wirklich frustriert und ich wäre nicht noch ein drittes Mal in das doch recht teure Garmisch/Grainau gefahren, um den Versuch meiner persönlichen Erstbesteigung zu unternehmen.
Pünktlich um 5 Uhr geht es in der Dunkelheit am Hotel los. Ohne großen Druck und ganz gemütlich laufe ich aus Grainau hinaus und steige Richtung Eibsee auf. Hier der erste Angstmoment. Was für ein Augenpaar leuchtet im Dunkeln? Ein Reh? Bin ich von Schwabach gewohnt. Nein, das ist größer und der Kopf sieht ganz anders aus… Mein Weg geht aber 30 Meter an dem Tier vorbei. Mut fassen, mit den Stöcken klopfen, Stirnlampe auf heller stellen und langsam vorbei gehen – und siehe da: ein richtiger Hirsch! Für manche keine neue Erfahrung, aber ich habe noch nie einen in freier Wildbahn erblickt. Beruhigt und irgendwie auch glücklich für den Anblick geht es weiter. Der See liegt leider noch in völliger Dunkelheit und so steige ich zum Eibseeblick (so heißt ein Punkt weit oberhalb des Sees an der Grenze zu Österreich) weiter auf.
Über eine Skipiste, die mir vom TAR 2016 bekannt ist, schlängelt sich der Weg einige hundert Höhenmeter aufwärts. Er fühlt sich heute nur nicht mehr so steil und fordernd an, wie es damals war. Bin ich es einfach mehr gewohnt? Besser trainiert? Ich weiß es nicht, aber die Piste hat ihren Schrecken verloren. Langsam dämmert es und ich liefere mir mit zwei anderen Wanderern, die mit ihren Stirnlampen auch gut zu sehen sind, ein kleines Aufstiegsbattel. Sie gehen den direkten Weg auf der Piste und ich den sich schlängelnden Wanderweg direkt daneben. Erst holen sie mich ein, damit ich sie dann auf einem gemeinsamen Abschnitt wieder überholen kann. Wir lachen uns an, wechseln ein paar Worte und gehen getrennte Wege.
Der Eibseeblick selber ist völlig unspektakulär, weil er von den Bäumen fast vollständig verdeckt wird. Na gut. Davon hatte ich auch nicht viel erwartet.
Rüber zur Hochtörlehütte nach Tirol, bevor ich über eine Straße zum Talstation der Tiroler Zugspitzbahn hinunterlaufe.
Eine große Zahl an Wanderer und Klettersteiggeher, arbeitet sich hier zum Wiener Neustädter Haus aufwärts, um von dort über den Stopselzieher auf die Zugspitze zu gelangen – die kürzeste der möglichen Routen auf den Gipfel. Ich schwenke ab und laufe aber Richtung Gamsalm, mit seinem kleinen See weiter. Der liegt so idyllisch umrahmt von Bergen, dass eine Fotopause unausweichlich ist. Immer stärker blitzt die Sonne über den Bergen hervor und taucht die ganze Landschaft in ein wunderbares Licht.
So steige ich hochmotiviert auf den Koppensteig bei Ehrwald ein und folge dem Wanderweg der Kategorie Rot auf wunderbar flowigen Singletrails. Andere Wanderer begegnen mir hier wieder nicht mehr und ich genieße schon seit einigen Stunden die Einsamkeit, merke aber langsam, dass ich etwas länger benötige als gedacht – abwarten, wie es sich entwickelt.
An der Talstation der Bahn zur Ehrwalder Alm schwenke ich auf einen breiten Schotterweg ein und steige nun mit einigen anderen Gipfelbesteigern auf. Ab hier gibt es nur noch eine Richtung: hoch! Nicht schön, nicht spektakulär, aber einfach geht es zur Ehrwalder Alm auf 1500 Meter. Viele andere Wanderer haben sich ein paar hundert Höhenmeter gespart und sind mit der Gondel bis hier her gefahren, um von dort über das Gatterl zur Zugspitze zu marschieren. Im Gänsemarsch geht es nun weiter und ich bin definitiv der Schnellste hier – eine völlig ungewohnte Situation!!! Bei den Wettkämpfen gehöre ich im Aufstieg eigentlich immer zur langsameren Hälfte! Die vollen Wege, das unrhythmische Gehen und die Überholmanöver kosten mich mehr Kraft und vor allem Zeit. Ich bin gewarnt worden, dass es so kommen kann, wenn das Wetter gut ist, und es ist heute verdammt gut, denn die Fernsicht ist ein Traum, nur habe ich alle Bedenken bei Seite gewischt, weil ich es mir nicht vorstellen konnte. Mein Fehler!
Der Max-Klotz-Steig geht auf einfachen aber schönen Wegen fast direkt hoch zum Gatterl. Es kommt nur eine Weggabelung auf einem Grat, an dem wir etwas absteigen und auf rutschigen Geröllwegen (hier wird es schmal) zur einzigen Kletterstelle dieses Steigs wandern (ich komme nur kurz zum Laufen, weil das Feld viel zu dicht ist). Das Drahtseil erleichtert diese kurze Kraxelei und ich stehe am Gatterl bei 2000 Meter- dem Grenzübergang von Tirol nach Bayern (hier oben, nicht weit vom Gatterl waren selbst nach dem Krieg noch Grenzbeamte stationiert: verrückt). Immer wieder erblicke ich Wanderer, die in diesem Gelände Angst haben.
Ja, es ist auch für mich ungewohnt und etwas schwerer als gedacht, aber ich habe schon eine ungefähre Vorstellung vom Weg gehabt (Internet sei Dank) und habe mit ordentlich Zeitpuffer geplant. Ich biete mehr als einmal meine Hilfe an…
Mein Zeitplan ist nun völlig aus den Fugen geraten und ich beginne im Kopf zu rechnen. Der Steig hinüber zur Knorrhütte ist nicht schwer, fast flach, an manchen Stellen laufbar – nur ich habe hier keine Gelegenheit, muss meistens auch langsamer Gehen als ich könnte oder wollte und brauche deutlich länger.
An der Knorrhütte bei 2000 Meter schicke ich meiner Mareike die Nachricht, dass ich den Aufstieg noch gut meistern werde, aber aus Zeit- und Motivationsgründen nicht mehr Absteigen werde. Warum? Ich müsste gegen den Strom wieder hinunter, hätte ständig Ärger mit den Wanderern (zwei Trailrunner sind mir hier laufend begegnet, die schon am Gipfel waren: und beide hatten mit den Wanderern keine verständnisvollen Zeitgenossen getroffen… Dabei sind wir alle nur aus Spaßgründen hier und der Läufer hat genauso ein Recht den Weg mitbenutzen zu dürfen). Nun geht es über das karge, unbewachsene Zugspitzplatt in großer Hitze zum Sonnalpin. Ich presse die letzten Tropfen aus meinen Wasserflaschen und muss mir eingestehen, dass ich dort noch etwas zum Trinken kaufen muss – also noch mehr Zeit benötige. Das ständige Überholen macht mich mürbe und ich beginne mich in der Schlange einzureihen und nur noch Wanderer zu überholen, die stehen bleiben.
Bei 2500 Meter erreiche ich die Station und kaufe mir eine 0,5 Liter Flasche Spezi und eine Apfelsaftschorle. Ich kann nur nicht so viel davon trinken, also stopfe ich die Softflask in meine Bauchtasche (was sehr ulkig aussieht) und stecke die zwei neuen Flaschen vorne in den Rucksack. Noch einmal Mareike anrufen und in den letzten Anstieg gehen. 400 HM die schwierig werden. Zuerst steig man sehr steil auf einem rutschigen Geröllweg auf – mühselig. Danach zieht man sich gefühlt ewig an Drahtseilen über Steinplatten und Tritte aufwärts und nähert sich über einem kleinen Grat dem Gipfel. Nun geht meine Kraft langsam zu Neige. Laufen ja gerne, weiter Aufsteigen Nein Danke. Über Eisenstufen lege ich die letzten Schritte zurück, bevor ich vom Andrang der Menschen fast erschlagen werde. Das Gipfelkreuz ist kaum erreichbar und ich müsst mich anstellen. Ich lehne dankend ab, lass mich von Mareike nur davor fotografieren und gehe ins Restaurant der Zugspitzbahn, um meinen herbeigesehnten Kaiserschmarrn zu essen – zwei alkoholfreie Weizen dazu.
Jetzt bin ich glücklich, dass es nach so vielen Jahren (2018 startete ich mit den Überlegungen) endlich geklappt hat, am Ende waren es 34,7km und 3050HM.
Wahrscheinlich hätte ich ohne Verkehr gute 7h im Anstieg gebraucht und dann hätte ich ohne größere Schwierigkeiten absteigen und durchs Reintal zurücklaufen können. Die Strecke ist mir bekannt und hätte nach dem Abstieg von der Knorrhütte auch keinerlei Probleme mehr bereitet. Ich hatte oben jedoch das Gefühl, dass der Gipfel das eigentlich Ziel war und der Abstieg nur noch dazu gedient hätte, das kleine Abenteuer länger und größer wirken zu lassen. Dafür hätte ich einen schönen Nachmittag und ein traumhaftes Abendessen mit meiner Liebsten geopfert. Das war es mir mit einem Schlag nicht wert und ich habe den Entschluss gefasst, ohne ihn im Nachgang zu bereuen.
Vielen lieben Dank an meine Frau, die mich oben mit viel Liebe und Anteilnahme empfangen hat. Du bist die Beste!
Euer Thorsten