Planung
Die Faszination, welcher der Bayerischer Wald oder einfach nur Woid, wie die Bewohner ihr wunderbares Stück Heimat nennen, bei mir auslöst, reicht im Ursprung schon einige Jahre zurück. Fast jedes Jahr war ich entweder ein klein wenig zum Wandern oder für Läufe, wie den UTLW oder den Arberland hier und immer und immer wieder entdeckte ich die Goldsteig Markierungen und im Nationalpark die entsprechenden Wanderwege zwischen den bekannten Gipfeln Lusen, Rachel und Falkenstein, welche von den Tageswanderern selten begangen werden. Das weckt in mir einen unbändigen Reiz, diese doch sehr ruhigen Pfade selbst zu testen. Klar ist für mich zu Beginn der Planung nur, dass der Nationalpark Bayerischer Wald das Kernstück meiner Unternehmung werden soll und ich die umliegenden Abschnitte sehr gerne mitnehmen werde, diese aber das Projekt mehr umrahmen sollen. Nachdem mich der tschechische NP Šumava ebenfalls reizt und aus logistischen Gründen, An- und Abreise mit dem Auto, ein Rundweg eine sinnvolle Möglichkeit ist, kommt mir schon sehr früh der Gedanke, im Prinzip eine 8 zu entwerfen. Meine ersten Entwürfe sind von einer großen Unsicherheit bezüglich der Tageslängen gekennzeichnet, richten sich aber nach den bekannten Goldsteigetappen, von denen ich 2 Tagestouren zu einer zusammenfasse, um am Tagesziel immer eine Unterkunft zu haben. Die Übernachtungsmöglichkeiten legen definitv die Streckenlängen fest. Ob ich dann auf Hütten oder in Pensionen nächtige, ist mir eigentlich egal.
Sehr früh kristalisiert sich aber schon heraus, dass meine Frau mit unseren Nachbarn/meinem bestem Freund/Schwager Thomas und seiner Familie mit 2 wunderbaren Kindern die Gelegenheit nutzen und für einige erholsame Tage mitkommen.
Nun stelle ich die Routen noch etwas um, suche einen zentralen Punkt, den ich möglichst oft erreiche und finde ihn in Frauenau. An 2 Tagen will ich dort ankommen und an 2 Tagen von dort starten. Dies wird das Headquarter! Das heißt meine Planung zielt darauf ab, nicht im NP zu übernachten, sondern nach Frauenau abzusteigen und am nächsten Tag von dort wieder aufzusteigen. Nicht elegant, aber äußerst praktisch. Die restlichen Tage fährt mich meine Frau zum Start oder holt mich vom Ziel ab – das ist der Deal. Nur wie weit soll ich die Route ausdehnen? Es gäbe noch viele schöne Flecken auf dem Goldsteig, doch im Hinblick auf die vorhandene Urlaubszeit beschränke ich mich auf 6 Etappen, in denen ich die mir wichtigsten Abschnitte und Punkte erlaufen kann.
Relativ kurz vor Aufbruch verfalle ich der Vorstellung, die Tagesetappen noch einmal deutlich zu verlängern (so auf 50 bis 70 km) und mit einigen weiteren HM zu spicken. Verwerfe aber nach dem Seenländer Ultratrail diesen Plan wieder, weil ich mehr eine entspannte Zeit dort haben möchte – und habe es auch nicht bereut.
Mit Hilfe einer Wanderkarte vom Kompassverlag und der Planungssoftware Komoot erstelle ich mir einen GPX-Track und ziehe ihn mir auf mein Garmin Oregon, um im Zweifelsfall dank der Kartendarstellung ganz leicht Ausweichrouten zu suchen. Dies wäre in der Nachbetrachtung an den meisten Tagen auf dem original Goldsteig nicht nötig gewesen, jedoch waren die Zubringer und Alternativroute deutlich schlechter ausgeschildert, weshalb ich diese Variante jederzeit wieder nutzen würde.
Die Gepäckplanung entfällt durch das feste HQ, weil ich jeden Morgen neu überlegen kann, was ich anziehen möchte und vorsorglich in den Rucksack packe (eine Regenjacke ist beispielsweise immer dabei!). Die Stöcke sind auch gesetzt.
An den zwei kürzesten Etappen möchte Thomas mit mir wandern, worüber ich mich freue und was angesichts der Tatsache, dass diese beiden Etappen viele schlecht laufbare Passagen haben, mich auch nicht weiter stört, weil ich dann so oder so einiges marschieren müsste.
Welchen Monat soll ich nehmen? Mai denke ich, sollte schon wieder alles grün sein, Frühlingsgefühle vermitteln und außerdem passt es gut in die Urlaubsplanung in der Arbeit – eine Fehleinschätzung, wie sich herausstellen soll. Denn der Altschnee ist dieses Jahr hartnäckiger als üblich und der Schneebruch war außerordentlich stark und ist noch immer nicht ganz beseitigt; nur dies kann im Herbst 2018 beim festlegen der Urlaubszeiträume niemand wissen.
Das soll mein Laufhighlight des Jahres 2019 werden!!! Im Herzen nimmt es einen größeren Stellenwert ein, als mein Seenländer Ultratrail im April, obwohl dieser ein offizieller Wettkampf ist.
Anreise
Schlechtes Wetter ist für den Anreisetag, Montag, angekündigt. Das soll mich nicht stören. In der früh mit dem Nachbar und Schwager ganz entspannt noch eine 6km Runde bei uns in Schwabach laufen und dann ist Auto einladen angesagt. Nachdem am Vortag schon alles gepackt war und die Straßen erstaunlich leer sind, schlagen wir in Frauenau, bei der Ferienwohnung, ganz gemütlich auf. Außer unseren 2 Wohnungen ist alles frei, d.h. wir können uns in dem großen Haus herrlich ausbreiten und entspannen. Die Lage am Hang, der Ausblick und die Möglichkeiten im Ort selbst sind für uns in diesem Moment perfekt!
1. Etappe: Lambach bei Lam zum Eck
- Dienstag, 14. Mai. 2019
- 34,9 km
- 1470 HM
Früh klingelt der Wecker. Die heutige Etappe wird mit Thomas gewandert, weshalb ich mehr Zeit einplanen muss. Komoot hat mir eine Distanz von knapp über 30 km angezeigt; das sollten wir in ca. 7 bis 8 Stunden schaffen.
Der ganze Himmel ist in grau gehalten und das Wetter ist sehr frisch, aber die Laune und Vorfreude ist riesig, weshalb uns Beiden beim Ausstieg aus dem Auto das alles egal ist. Vorsorglich habe ich uns beiden je ein Paar Stöcke mitgenommen und wir haben unseren Rucksack ausreichend mit „isotonischen“ Getränken präpariert.
Auf Grund der Fahrzeit von über 1h starten wir erst kurz nach 9 im Lambach bei Lam. Wir versuchen dem blauen Goldsteig Symbol, dem Zeichen für alle Zubringer zum Goldsteig, Richtung Hohen Bogen, dem ersten Gebirgsrücken der Etappe, zu folgen. Das ist tatsächlich schwieriger als gedacht, weil anscheinend nicht alle Schilder den Winter gut überstanden haben und wir mehrfach das Handheld zu Rate ziehen müssen. Sind wir zu früh in der Saison als Wanderer unterwegs?
Leicht ansteigend wandern wir die ersten Stunden zügig zum Ahornriegel mit seinem Lift für die Skifahrer. Einkehrmöglichkeiten sind zu dieser Jahreszeit eher mau, aber nicht ausgeschlossen und so kehren wir unterhalb des Berges ein, essen in Ruhe und trinken ein Bier (ein Bock wird uns wärmsten empfohlen und auch nicht ausgeschlagen) und einen Bärwurz. Brotzeit haben wir eingepackt und so machen wir unterwegs an einer schönen Lichtung noch einmal eine kurze Rast.
Wir sind überrascht, dass es bisher so locker von der Hand geht und marschieren Richtung Radartürme auf dem Eckstein weiter, gehen jedoch dort nicht auf die Aussichtsplattform hoch, um nicht zu viel Zeit liegen zu lassen. Die ganze Radaranlage hat eine beeindruckende Größe und bleibt heute als historisches Bauwerk ohne militärische Nutzung weiter stehen. Ein Besuch bei besserem Wetter, mit mehr Fernsicht und mit mehr Zeit ist eingeplant.
Auf einem richtig schönen MTB-Trail steigen wir vom Eckstein ab und treffen bei der Diensthütte Hohen Bogen auf den original Goldsteig!!! Jetzt geht es richtig los!
Lange Zeit gibt es nur eine Richtung: Abstieg ins breite Tal mit seinen Orten. Nach ca. 22km stehen wir am Fuße des Kaitersgebirges. Uns schwant langsam, dass wir doch mehr Zeit benötigen, als gedacht. Ob wir oben noch einkehren können? Die Wolken werden immer dunkler…
Auf diesen Abschnitt habe ich mich im Vorfeld sehr gefreut, weil er zu den schönsten Wanderabschnitten im Lamer Winkel gehört und extrem kurzweilig ist. Nur wusste ich bis dahin nicht, dass der Aufstieg vom Westen zwar steil, aber auf guten Wegen beginnt und aber vor der Räuber Heigl Höhle zu einem stark verwurzelten Pfad mit vielen großen Schritten wird. Thomas ist nun stehend KO und spürt immer stärker sein Knie.
Viel schwieriger als gedacht und zu allem Überfluss hat die Kötztinger Hütte auch noch zu; zusätzlich fängt es nun das Hageln und Regen an und alles ist oben extrem trüb. Dafür entschädigt mich die Kraxelei über den Mittagsstein und den ganzen noch umgestürzten Bäumen. Traumhafter Abschnitt! Bei den Rauchröhren wählen wir die Umgehung, weil die Kletterei über nasse Steine am Ende einer Tour, bei der es schon spät ist, nicht mehr sein muss. Thomas ist dafür sehr dankbar und ich motiviere ihn mit nur noch kurzen km Angaben und einer baldigen Ankunft am Auto.
Und dann das: der ursprüngliche Abstieg am Großen Riedelstein auf direktem Wege nach Eck ist gesperrt… Das bedeutet einen Umweg am Kleinen Riedelstein (den wir aber nicht mehr besteigen) vorbei und ein Marsch auf einer breiten Forstraße im strömenden Regen Richtung Tal.
Nach 10,5h reiner Marschzeit erreichen wir den Wanderparkplatz glücklich und hungrig. 4km länger als gedacht und schwieriger als gedacht. Im Grunde genommen habe ich Thomas heute auf einer doppelten Tagesetappe durch den Wald gescheucht – dafür hat er sich verdammt gut geschlagen und meinen vollsten Respekt verdient!
2. Etappe: Eck bis Frauenau
- Mittwoch, 15. Mai 2019
- 39,4 km
- 1250 HM
Wetteraussichten sind für heute immer noch mau… Auf anraten meiner Liebsten entscheide ich mich für die Hoka Speedgoat MID: wasserdichte Laufschuhe mit einem Schaft über den Knöchel. Hört sich ungewohnt an, sieht ungewohnt aus, läuft aber doch besser als gedacht – und für die heutige Etappe goldwert.
Länger schlafen ist heute angesagt, viel zu lang für meinen Geschmack und viel zu spät zum starten, aber ich mache mir wegen der Strecke keine allzu großen Sorgen.
Zwar ist der Abschnitt Eck-Großer Arber der bekannte 8-Tausender Weg mit einigen Höhenmetern, aber ich kenne ihn schon von meinen beiden Starts beim UTLW und freue mich auf den wunderbar trailigen Abschnitt.
Vom Eck geht es zügigen Schrittes immer weiter bergauf Richtung Mühlriegel – bis auf einmal bellend ein großer schwarzer Hund vor mir steht. Ja, ich habe großen Respekt vor Hunden, vor allem, wenn ich in einer solchen Situation das Herrchen nicht sehe! Es ist ein Einheimischer und hat bei diesem Wetter in der Nebensaison an einem Mittwoch wahrscheinlich mit keinem Wanderer oder Läufer gerechnet. Schwamm drüber. Oben angekommen klettere ich noch zum Gipfelkreuz hoch und schieße das obligatorische Foto. Nachdem ich gestern einige Gipfelkreuze ausgelassen habe, nehme ich mir vor in den nächsten Tagen jedes mitzunehmen!
Nun geht es im Auf und Ab (mehr Auf als Ab) auf dem Höhenzug Richtung Arber weiter. Traumhafte Waldwege mit vielen umgestürzten Bäumen, nicht erkennbaren Wegen, einer kleinen Klettereinlage und stark verwurzelten Anstiegen führen mich über den markanten Ödriegel zum Schwarzeck. Ich muss nun die Regenjacke herausholen, weil es nieselt und arschkalt geworden ist. Warum habe ich zum Laufen für die ganze Woche nur kurze Hosen eingepackt…
Vom Heugstatt geht es über traumhafte Bohlenwege zum Enzian rauf.
Im Grunde genommen ein gigantisch guter Trail, nur leider im dichten Nebel und die Finger werden kalt. Durchhalten ist angesagt! Ich weiß, dass der Anstieg zum Kleinen Arber lang und zäh ist, dass es aber dann relativ einfach zum Großen raufgeht. ABER nicht im Schnee… Vor dem Kleinen ist der Aufstieg mit einer dicken, geschlossenen Schneedecke versehen. Ich sehe keinen Weg mehr, irre orientierungslos hangaufwärts und bin heilfroh, als ich das Gipfelkreuz oberhalb der Chamer Hütte erreiche. Die Hütte hat natürlich zu und der Abstieg über die mit Schnee versehenen Wurzeln ist tricky.
Nur um festzustellen, dass der eigentlich schnelle Abschnitt zum Großen Arber auch verschneit ist. Es ist Mitte Mai und nicht März! Alles dauert nun länger als gedacht, macht aber trotzdem Spaß. Ich lasse mich auch nicht ärgern, als ich im Aufstieg zum höchsten Höhepunkt des Waldes auf der breiten Schotterstraße die Abzweigung zum Wanderweg verpasse und so auf dem leichteren Weg aufwärts marschiere. Zumindest erreiche ich so das Gipfelkreuz, welches ich im dicken Nebel so nicht mehr gefunden hätte. Bei -5°C und Windböen hätte ich dort oben nicht mehr lange danach gesucht, denn ich friere mittlerweile sehr. Die Hütte hat auch hier zu und mein Wanderweg ist mit einer dicken, Meter hohen Schneeschicht versperrt. Kein Problem, dann geht es halt am steilen Hang um den Schnee herum… Mit Laufen hat dies alles derzeit nicht viel zu tun.
Der Goldsteig Abstieg vom Arber ist im oberen Bereich dann stark verblockt und im unteren extrem mit Wurzeln durchsetzt. Dazu Schnee, nachgebender Schnee und Schneewasser. Die hochkommenden Wanderer schauen mich beim Versuch zu Laufen ungläubig an (oder liegt es an der kurzen Hose?). Außer Sichtweite und etwas wettergeschützt packe ich jetzt erstmal mein Schnitzelsandwich aus und esse in Ruhe.
Kurz vor dem Großen Arbersee wird der Weg einfach und gut ausgebaut – nun lass ich es ruhig, aber zügig rollen. Am See vorbei, der zu dieser Jahreszeit, bei diesem Wetter praktisch keine Besucher hat, weiter auf breiten Forstwegen bis zur Seebachschleife. Hier mache ich endlich wieder Zeit gut. Dort angekommen verlasse ich erstmal den original Goldsteig und biege auf die Alternativroute zur Umgehung des NP ab. Warum? So kann ich von dort bis Mauth auf der Ausweichroute laufen. In Mauth auf den Goldsteig treffen und über die Gipfel des NP praktisch den Originalweg wieder rückwärts nach Bayerisch Eisenstein laufen und die Schlaufe hinbekommen.
Für heute sollten es nun nicht mehr viel km sein, die ohne nennenswerte Höhenmeter erfolgen sollen. Zumindest letzteres stimmt…
Immer am Großen Regen entlang, geht es durch ein Naturschutzgebiet, ein Moor, nach Zwiesel. Weicher Waldboden, relativ flach, schnell und ruhig zu laufen. Für heute reicht mir das. Was ich nicht mehr brauche, sind die Orientierungsschwierigkeiten in Zwiesel, die unattraktive Strecke durch Zwiesel nach Grießbach und die vielen Zusatzkilometer.
In Grießbach habe ich schon leicht mehr km als geplant, bin aber noch über 5km und einem Hügel vom Ziel entfernt und schon länger unterwegs als gedacht. Körperlich ist alles in Ordnung, aber ich weiß, dass in Frauenau alle auf mich warten. Ich rufe Mareike an und lasse mich abholen. Zur Entschädigung gehen wir zum Griechen essen und ich bekomme Ouzo. Morgen werde ich früher starten, um das Zeitproblem zu lösen!
3. Etappe: Frauenau bis Mauth
- Donnerstag, 16. Mai 2019
- 40,5 km
- 1170 HM
Kurz nach 9 geht es raus vor die Tür. Praktischerweise läuft der Goldsteig direkt am Haus vorbei, so dass ich heute zu Beginn keinerlei Umwege einplanen muss. 6 km läuft es ganz ruhig und entspannt immer dem gut ausgeschilderten Weg entlang. Auf leicht geschotterten Wegen zieht sich der Wanderweg vorbei an Weiden, Kühen, Wäldern und ich kann locker Kilometer um Kilometer zurücklegen. Es fühlt sich gut an.
Es ist zwar etwas kühl und bewölkt, aber trocken, also alles gut. Voller Vorfreude auf den Wagensonnriegel mit seiner kleinen Kapelle und seinem Aussichtspunkt biege ich zu früh ab und steh mitten im Wald – doof. Der Track verläuft links von mir, also versuche ich mich durch das Unterholz zu schlagen.
Ehrlich gesagt: es tut nur weh und ich sehe keine Ende. Also wieder retour bis zum Wanderweg und ein kleines Stück weiter auf dem breiten Weg laufen – und siehe da! Hier geht tatsächlich ganz schmal der Wanderweg hoch zum Wagensonnriegel! Ein eigentlich wunderbarer SingleTrail über schön weichen Waldboden. Nur leider hat der Schneebruch hier schwer gewütet und ich klettere ein ums andere Mal über umgestürzte Bäume. Das kostet Zeit und Kraft. Die Kapelle oben ist dafür wirklich hübsch und entschädigt etwas für die vorangegangen Herausforderungen – von der Aussicht habe ich bei der Wolkendecke jedoch nichts.
Aber dann! bis Kilometer 17 geht es nun nur noch bergab oder flach auf breiten Forstwegen. Unspektakulär aber einfach. Es rollt! Sehr schnell kann ich mich nach Spiegelau zum Kurpark vorarbeiten, wo eine kurze Gehpause mit Essen ansteht.
Wolfsgrubenfilz oberhalb von Sankt Oswald steht als nächstes auf dem Fahrplan. Ein wunderbarer, gefühlt endloser Bohlenweg direkt durch den Filz (Moor). Das ganze gepaart mit Regen, vermittelt definitiv die richtige Mooratmosphäre! Die wunderbare Pflanzenwelt erstaunt so sehr, dass ich den entgegenkommenden älteren Wanderer kaum zur Kenntnis nehme, bis er mir zuruft. Er findet meine kurze Hose bei dem Wetter faszinierend – und ich empfinde es zum Vortag als richtig angenehm warm…
Kilometer 30 verspricht mir ein kurzes Stück durch das Tierfreigehege des Nationalparks, weil ich nun planmäßig vom Goldsteig abweiche, um mich zum und durch das anschließende Felswandergebiet zu schlagen. Das Tierfreigehege darf man sich nicht als Tiergarten mit festen Grenzen vorstellen. Vielmehr kann man von allen Richtungen auf Wegen ohne Kosten und Zäune auf das eigentliche Gelände gelangen und es passieren. Ich versuche den Besuchern so gut es geht auszuweichen (ein wenig komisch schauen die schon) und den Weg Richtung Sagwassersäge fortzusetzen.
7km durch das Felswandergebiet nach Mauth sagt dort die nette Tafel. Ich rechne mit ca. 60 bis 75min Zeitaufwand und schreibe meiner Mareike eine kurze WhatsApp Nachricht, damit sie mich rechtzeitig in Mauth abholen kann. Ein schwerer Fehler! Im Nachgang hätte ich besser angerufen oder eine SMS verschickt…
Völlig wild rauf und runter geht es die nächsten Kilometer über Stock und Stein durch das Gebiet. Laufen ist zum Teil kaum möglich und trotzdem bereitet dieses Gelände angesichts des nahenden Tagesziels eine kindliche Freude. Die Grosse Kanzel mit dem Gipfelkreuz erfordert noch einmal einen kleinen Abstecher mit Kraxelei, aber ich werde kein Gipfelkreuz mehr auslassen. Außerdem ist das Gefühl oben zu stehen unbezahlbar.
Langsam wird die Zeit knapp, aber es sind ja nur noch gut 3,5km bis nach Mauth. Also alles ganz einfach und bergab muss ich ja auch noch. Pustekuchen! Nach 1km steh ich schon vor dem nächsten Hügel mit Stufen! Das bremst aus – ich hoffe Mareike wartet geduldig auf mich…
Und dann sind es nur noch 2km und kein Schritt mehr bergauf – es wartet wohl einer der genialsten Downhills der ganzen Woche auf mich. Im halsbrecherischen Tempo rase ich diese 2 bergab, springe, benutze die Stöcke um mich um die Kurven zu stemmen und schlage mit pochendem Herzen in Mauth am Parkplatz der Loipen auf.
Nur wo ist Mareike? Ich schaue aufs Handy – und sehe, dass sie erst vor 10min mir geantwortet hat! Sie hat die Nachricht zu spät zugestellt bekommen und ist noch gar nicht losgefahren!!! Scheiße ich friere! Erst sitze ich auf einer Bank, esse alles, was ich dabei habe, erledige die digitalen Aufgaben (Komoot, Strava, Instagramm etc.) und lass mich von den Leuten vom gegenüberliegenden Bauhof komisch anschauen. Das wird mir nach 15min zu blöd. Ich gehe rein in den Ort, um ein Café oder einen Bäcker zu suchen – wieder Pustekuchen. Nichts hat offen! Hier ist nichts los… Ich laufe zweimal im Ort auf und ab, weil mir kalt ist – und dann ruft sie an. Ich bin da, wo bist du, ich warte.
4. Etappe: Mauth nach Frauenau – über Lusen und Rachel
- Freitag, 17. Mai 2019
- 42,9 km
- 1420 HM
Das Filestück meines Projekts! Die nächsten zwei Tage werde ich quer durch den Nationalpark mit seinem Kerngebiet laufen!!! Alle drei großen Gipfel stehen an! Beide Tage werden mit einer Distanz über Marathon auch die längsten sein.
Mein TAR-Partner und guter Freund Andy erklärte sich am Vortag spontan bereit, mich heute zu begleiten. Die Lust auf diesen Streckenabschnitt steht ihm Morgens in Frauenau ins Gesicht geschrieben, als er sein Auto am HQ parkt und wir von Mareike nach Mauth gebracht werden.
Dort steigen wir auf dem original Goldsteig zum Tummelplatz, einen der alten Schachten, auf und nehmen den Abstecher zum Großalmeyerschloss mit seinem Gipfelkreuz mit. Der Aufstieg mit ihm an meiner Seite gerät zu einer doch sportlicheren Geschichte, weil wir vielmehr laufen als gehen und spürbar schneller vorwärts kommen, als es mir alleine gelungen werde.
Nachdem die letzten Tage alle länger und mit mehr HM bestückt waren, als es geplant gewesen ist, entschließe ich mich, zum Lusen auf dem Originalweg aufzusteigen und nicht die Schlaufe rüber und auf dem Finsterauer Lusensteig aufwärts zu wählen – eine gute Entscheidung!
Denn kurz vor dem Lusengipfel erreichen wir den verschneiten Bereich und stapfen langsam aber stetig zum Gipfelkreuz hoch. Dort oben ist es schon wieder kalt und windig! Und ich habe noch immer kurze Hosen an! Es ist aber ein traumhaftes Gefühl auf dem ersten Nationalparkgipfel zu stehen! Darauf hatte ich monatelang hin gefiebert und mich gefreut. Mein Saisonhighlight!
Über die verblockte Himmelsleiter schlagen wir den Weg zur Gläsernen Arche und zur Wanderkreuzung an. Während wir ratschend über die Steine hupfen, spricht mich ein älterer Wanderer an. Ob wir uns zufällig schon gestern getroffen haben. Ich schaue ihn ratlos an. Ja, da war ein junger Mann schnell unterwegs und hat im Regen nur eine kurze Hose angehabt, während er durch das Filz lief. Ja, das war tatsächlich ich! Das er mich bei der kurzen Begegnung wieder erkannt hat! Klein ist die Welt. Diese Begegnung und das kurze Gespräch lassen mich irgendwie glücklich zurück.
Das die Sonne langsam heraus kommt und uns mit Wärme und Licht verwöhnt, ist ein wunderbarer Bonus. Ohne großen Höhenunterschied geht es am Teufelsloch vorbei Richtung Rachelsee. Die Strecke ist nicht ganz einfach zu laufen. Einige Passagen erfordern Konzentration. Aber das Tempo ist erstaunlich hoch und die uns entgegenkommenden Wanderer weichen meist freiwillig aus. Auf dem Abschnitt Rachel-Lusen-Goldsteig sind außerdem eh nur wenige Wanderer unterwegs, weil der Abschnitt mit Auf- und Abstieg den meisten Tageswanderern zu viel ist. Dabei läuft der Weg die meiste Zeit wunderbar am Hang entlang und bietet oft sehr gute Aussichten.
Bei ca. km 21 passieren wir die Felsenkanzel mit guter Aussicht, bevor wir kurz darauf den Rachelsee erreichen. Fast wie verwunschen liegt er zu Fuße der großen Hänge und wirkt so friedlich – wenn nicht die zahlreichen lauten Touristen wären… Es ist nicht immer ein Segen, wenn diese Ziele durch die Igelbusse, dem Linienverkehr im NP, sehr gut erschlossen sind.
Kurzer Aufstieg zur Rachelkapelle mit Blick auf den See der im Sonnenschein glitzert, bevor wir den verschneiten Aufstieg zum Großen Rachel angehen. Etwas rutschig, aber zum Glück sehr fest zeigt sich die Schneedecke und lässt uns mit unseren Trailschuhen deutlich schneller aufsteigen, als die meisten Wanderer, die zum Teil sehr mit den Bedingungen zu kämpfen haben.
Es ist der erste Gipfel, denn ich in diesen Tagen im Sonnenschein erreiche! Die Fernsicht ist vom zweithöchsten Gipfel im Woid unbeschreiblich. Vor lauter Freude möchte ich gar nicht mehr runter…
Abstieg zum kürzlich wiedereröffneten Waldschmidthaus mit Einkehr und alkoholfreiem Weizen ist angesagt. Das wir auf unser Getränk warten müssen, weil das BR gerade für einen Teil der Dokuserie Vom Spessart zum Karwendel hier dreht, ist zu verschmerzen. Das die Reporterin uns dann beim Trinken dieses wichtigen Getränks auch noch mit ihren Fragen unterbricht, geht ja aber mal gar nicht.
Über die herrlich lichte und liebliche Rachelwiese gehen wir zum Kleinen Rachel hinüber. Die meisten kennen ihn nicht, weil kein offizieller Wanderweg ihn berührt und das laut Wikipedia vorhandene Gipfelkreuz auch nicht sichtbar ist. Unklar ist uns, ob wir zu dieser Jahreszeit den vorhandenen und schon vielfach begangen Pfad benutzen dürfen. Stichwort Wegegebot in vielen Monaten. Wir nehmen das Risiko auf uns, weil das zu schützende Auerhahn hier auf den Freiflächen schon seit einigen Wochen nicht mehr mit einer Schneedecke zu kämpfen hat. Den Pfad folgend erreichen wir auch den höchsten Punkt – nur steht dort kein Kreuz… Auf den digitalen Karten ist ein weiterer Pfadverlauf zu erkennen, der etwas vom Gipfel weg führt. Wir folgen diesem, stehen dann aber vor einer Schneefläche, die sich über Spalten legt und kehren an dieser Stelle um, weil uns das Risiko eines Absturzes zu heikel ist. Wir können allerdings sehen, dass der Pfad anscheinen weitergeht und auf einem kleinen Hügel noch einmal viele Bäume vor dem darauf folgenden Abgrund wachsen. Hier könnte das Kreuz mit Gipfelbuch stehen, wenn es eines gibt. Das Kartenmaterial legt das auch nahe, auch wenn dorten kein Kreuz verzeichnet ist. Im Sommer werde ich es noch einmal ausprobieren müssen.
Was danach folgt, hat mit Laufen nicht mehr viel zu tun und lässt Andy und mich vor Freude jubeln. Der Goldsteig führt weiter Richtung Falkenstein, wird aber kaum begangen, weil die Entfernungen nur von Fernwanderern mit Hüttenübernachtungen vernünftig zu stemmen sind. Kleinste Trails, mit Schmelzwasser, Schneeflächen in die man einsinkt (zweimal stecke ich bis zur Wade darin), Wege die nur in den Hang gelegt wurden, Schneeflächen zu passieren, auf denen ich mehrfach ausrutsche und mich nach unten bewege, Schneewurf der Kletterei auslöst, Stahlseil zur Querung von Steinplatten, Serpentinen, Kraxelei am Hang um die schwierigen Passagen herum
–> Fast 40min für 2km einfach nur im positiven Sinne der Wahnsinn!!!
Der Abstieg über die Schachtenstraße verläuft dagegen schnell und simpel. Oberhalb der Trinwassertalsperre Frauenau rauschen wir über einen leichten, flüssigen und schön schnell zu laufenden Pfad Richtung Frauenau. Die Trinkwassertalsperre beeindruckt uns mit seiner Größe und der gewaltigen Wassermasse sehr!
Beim Abendessen im thailändischen Restaurant, schmiedet Andy Pläne, wie er morgen zusätzlich auch noch mitlaufen kann – immer herzlich willkommen!
5. Etappe: Frauenau nach Bayerisch Eisenstein – Schachten und Filze über den Falkenstein
- Samstag, 18. Mai 2019
- 45,6 km
- 1400 HM
Der Plan sieht so aus: Andy parkt in Bayerisch Eisenstein und läuft zum Falkenstein hoch. Ich starte am HQ und arbeite mich über die Schachten und Filze von der anderen Seite zum Großen Falkenstein vor. Oben treffen wir uns, trinken etwas, und laufen gemeinsam nach Eisenstein. Anschließend spielt er mein Taxi. Mal schauen, wie dies ausgeht, weil der zeitliche Ablauf nur schwer zu kalkulieren ist.
Halb 9 morgens breche ich auf und laufe die ersten paar Hunderter von Höhenmetern auf asphaltierten oder gut geschotterten Wegen Richtung Goldsteig aufwärts. An der Trinkwassertalsperre vorbei, geht es die ersten 11km nur aufwärts – und zwar fast alles im Laufschritt. Erstaunlicherweise fühlen sich meine Muskeln sehr gut an; nur meine linke Achillessehne ist leicht spürbar. Strahlender Sonnenschein lässt den Wald im wunderbaren Licht erstrahlen und die Punkte mit Fernsicht erlauben ein herrliches Panorama. Es geht einfach locker und leicht von der Hand und bereitet unglaublich viel Freude. Kein Vergleich zum furchtbaren Wetter am zweiten und dritten Tag…
Einmal oben angekommen bewege ich mich über viele Kilometer nur noch im leichten Auf und Ab durch den Wald, über die Schachten und durch den Filz. Schachten sind die alten Weideflächen im Woid, die bis in die 60er Jahre im Sommer für das Vieh genutzt wurden. Ein klein wenig erinnert dies, an die Almwirtschaft in den Alpen. Durch diese künstlichen Freiflächen entsteht ein herrlicher Wechsel von Wiesen und Wäldern der einfach nur extrem kurzweilig ist. Über die Verlorenen Schachten geht es im stetig Wechsel über eine Handvoll von diesen Flächen zum Latschenfilz und Latschensee. Die Vegetation wird dort zum Schutz nur auf Bohlenwegen passiert (die einen schnell vorwärts kommen lassen) und bietet einen unglaublichen Kontrast zu der Pflanzenwelt davor und danach! Anhalten und genießen ist hier Pflicht.
Km 17 lässt ich am Zwieseler Filz und der bezaubernd gelegenen Hirschbachschwelle vorbeikommen – und hier begegnet mir auf dem schmalen Wanderweg des Goldsteig tatsächlich ein Mountainbiker. Ja, auch ich fahre gern Rad. Ja, auch ich verhalte mich nicht immer korrekt. Nein, der hat hier, auf dem für ihn verbotenen Weg, nichts zu suchen. Er hinterlässt deutliche Furchen auf dem feuchten Boden, drängt die per Pedes Fraktion ins Gebüsch und schert sich nur um sein Vergnügen. In all den Tagen war mir immer klar, dass ich keine Wanderer einfach vom Weg scheuche. Ich gehe im Zweifelsfall an ihnen normal vorbei und erschrecke sie nicht einfach, indem ich von hinten angeschossen komme – das ist eine Frage des Respekts!
Der Aufstieg zum Scheuereckberg bei km 25 führt über eine weitere Freifläche, auf der ich bei der Mittagshitze mittlerweile ganz schön brutzle. Das Gipfelkreuz lasse ich bestimmt nicht aus, aber langsam wünsche ich mir mehr zum Trinken und eine kurze Rast. Bisher bin ich sehr zügig vorwärts gekommen und möchte davon auf dem nächsten gut geschotterten Abschnitt auch keine Ausnahme machen. Es fühlt sich einfach zu flüssig an. Die paar umgestürzten Bäume halten nicht wirklich auf.
Kurz vor der Querung des Rindelbach stößt Andy zu mir. Er hatte einfach nicht warten wollen, ist auf dem Goldsteig schon einmal vom Falkenstein abgestiegen und mir entgegen gelaufen. Nun sitzt er bei einem Unterstand in der Sonne und genießt das Leben. Mit diesem Motivationsschub laufen wir am Höllbach zügig vorbei, laufen den ersten Abschnitt des Aufstiegs zum Großen Falkenstein und marschieren dann sehr zügig den Rest. Viele Wanderer (und bei diesem guten Wetter am Samstag sind auch seeeehr viele unterwegs) schauen uns verdutzt an, fragen uns, ob wir es so eilig haben – ja, haben wir. Ist ja kein Kinderspielplatz.
Nach 33km stehen wir am Gipfelkreuz des höchsten Punktes am heutigen Tag. Viel schneller als gedacht und trotzdem noch erstaunlich gut drauf. Wir kehren dort oben ein, bestellen uns Süßspeisen und ich dazu gleich zwei alkoholfreie Weizen. Die Bedienung schaut etwas verdutzt, sagt aber nichts. Die Lebenserwartung des ersten Getränks ist letztendlich auch nicht besonders hoch – seit einer Stunde stelle ich mir dieses göttliche Getränk schließlich schon vor.
Den Goldsteig verlassen wir danach kurz, und laufen zum Kleinen Falkenstein rüber, der wesentlich seltener besucht wird. Kurz über eine Felsenplatte hochgestiegen und schon stehen wir auf einer kleinen Fläche an einem steil abfallenden Hang vor einem traumhaften Ausblick. Kurz innehalten ist angesagt.
Bevor wir über viele Steine einen langen und schnell gelaufenen Downhill antreten. Es läuft, es rennt Richtung Tal bis zum Zwieselerwaldhaus, einem kleinen, hübschen Ort im Nirgendwo. Andy verspricht mir, dass nun kein Aufstieg mehr kommt. Warum traue ich ihm da nicht? Bevor wir die nächste Flachpassage antreten können, passt uns eine Junggeselinnengruppe ab. Sie muss jedem Mann, der vorbeikommt einen Kuss auf den Backen geben! Sie denkt, wir sind schüchtern, weil wir zögern – na gut, wenn ihr das so ein Herzenswunsch ist, dann soll sie uns zwei stinkenden und verschwitzten Typen ruhig küssen…
Schwellsteig entlang, geht es auf weichem Waldboden bretteben zum Schwellhäusl, einem kleinen Ausflugslokal mit Biergarten. Andy drückt voll auf die Tube, lässt es laufen und ich versuche nur, dran zu bleiben. Den Kinderwagen weichen wir im Slalom aus und freuen uns über alle kleinen Erdenbewohner, die ihre helle Freude am Bach haben.
Alkoholfreies Weizen ist erstmal im Biergarten angesagt und hier fällt meinem Mitstreiter spontan ein, dass sich gemeinerweise noch ein kleiner Hügel zwischen uns und dem Ziel geschoben hat. Immerhin so klein, dass wir marschieren und nicht laufen. Egal der matschige Downhill nach Eisenstein ist mein Revier, hier zieh ich los und fliege Richtung Tagesziel.
Zum Abendessen fliege ich dann jedoch nicht mehr. Die Sehne schreit Hurra und ich humple. Ist ja nur noch ein Tag.
Finale Etappe: Bayerisch Eisenstein nach Lam – über Tschechien zum Zwercheck und zum Osser
- Sonntag, 19. Mai 2019
- 29 km
- 1090 HM
Heute ist eigentlich eine Wanderetappe mit meinem Schwager angesagt. Leider habe ich ihn mit unserem Gewaltmarsch am Dienstag so lädiert, dass sein Knie sich heute noch meldet. Also lass ich mich alleine von Mareike nach Bayerisch Eisenstein fahren und verlasse dort den Goldsteig. In Erwartung einer sehr kurzen Etappe mit wenigen Höhenmetern gehe ich von einem schnellen Lauf mit ausreichender Zeit zur Einkehr aus. So teile ich meinen fünf Begleitern im Woid das auch mit und sie wollen mich in Lam erwarten.
Am historischen Grenzbahnhof passiere ich die Grenze nach Tschechien (im Grunde genommen sieht man auch keine Grenze mehr) und schlage mich dort in den NP Šumava vor. Die Achillessehne hat beim loslaufen noch einmal ein paar Widerworte gegeben, beruhigte sich aber nach wenigen Minuten wieder – Glück gehabt.
Auf breiten Schotterwegen geht es kilometerlang immer leicht bergauf. Alles laufbar und nur durch ein kurzes Gespräch mit einem tschechischen Waldarbeiter, der ein wenig Deutsch kann, unterbrochen (Junge Leute sollen mehr arbeiten und nicht nur immer Freizeit wollen). Wie erwartet komm ich gut vorwärts. Die meisten Wanderwege auf dieser Seite der Grenze sind breiter und besser ausgebaut, als im Woid – eigentlich langweilig, wären da nicht der Teufelsee und später der Schwarze See! Beide liegen direkt an einer sehr steilen und hohen Wand, die rauf zum Künischen Gebirgszug führt.
Bestimmt gibt es hier auch Steige rauf und runter, die spannend sind – nur leider gibt es hier, im Gegensatz zum NP Bayerischen Wald, das ganze Jahr Weggebot auf markierten Wegen und keine zeitlichen Ausnahmen, bei denen die alten noch existenten Pfade genutzt werden dürfen. im NP Šumava ist der Anteil des Kerngebietes deutlich geringer als auf deutscher Seite, dafür sind sie in diesem dann auch sehr streng geschützt.
Einfach wie verwunschen liegen diese beiden Seen mitten im Wald zu Fuße des Gebirges – abgesehen von den zahlreichen Spaziergängern, die auf kürzestem Wege dort hin gelangen. Kurz danach, außerhalb des Kerngebietes, verlasse ich den markierten Wanderweg und folge einer breiten Schneise immer den Hang aufwärts über Wiesen Richtung Zwercheck. Auf den offiziellen Wanderkarten war kein Aufstieg mehr verzeichnet, aber auf Komoot habe ich noch einen Pfad entdeckt – und da das Zwercheck auf dem Künischen Gebirge ein Grenzkamm ist, bin ich mir relativ sicher, dass von tschechischer Seite aus Wege hinauf führen. Ausprobieren ist angesagt. Viel begangen wird dieser wahrscheinlich nicht, aber die vereinzelten Jägersteige deuten auf eine Nutzung hin.
Nach 2h 20min und 14km erreiche ich den Grenzsteig auf dem Kamm. Hoch zufrieden und mit der Annahme, dass ich sogar schneller als gedacht, im Ziel ankomme. folge ich dem beliebten Wanderweg auf der ehemaligen Patrouillenroute, der immer den Grenzstäben entlang verläuft. Ein faszinierender und völlig natürlicher Verlauf. Das Zwercheck mit seinem Gipfelkreuz ist mehr ein Hügel auf dem Kamm, allerdings höher gelegen als der Große Osser, den es zu erreichen gilt. Das heißt die nächsten Kilometer sollte es mehr ab als auf gehen.
Schon wieder Pustekuchen. Der Weg ist traumhaft schön, allerdings völlig verblockt und praktisch nicht laufbar. Langsame Laufschritte sind möglich, unterscheiden sich vom Tempo her, aber kaum vom marschieren. Ich bereue es nicht, weil der Ausblick zu Beginn noch richtig schön ist und der Weg im stetigen Wechsel zwischen Freiflächen und Wäldern für alle Mühen entschädigt. Allerdings wird das Wetter stetig schlechter und die Wolkendecke zieht sich immer weiter zu. Der Zeitpuffer schmilzt immer weiter zusammen. Wanderer die mir entgegenkommen, werden mit Sicherheit im Unwetter erst gegen Abend ihr Ziel erreichen – wahrscheinlich hatten sie sich den Weg so auch nicht vorgestellt.
Nach geschlagenen 1,5h hatte ich die nur 6km geschafft und ich steige den steilen Pfad zum Großen Osser hoch – das Matterhorn des Bayerischen Waldes, wie in die Anwohner angesichts der markanten Form ohne Waldbewuchs nennen – und werde freundlicherweise von allen Wanderern vorbei gelassen. Angesichts des über den Haufen geworfenen Zeitplans und des drohenden Unwetters entschließe ich mich, nicht im überfüllten „Biergarten“ auf der Osserhütte einzukehren, sondern dem Weg Richtung Lam gleich zu folgen. Jetzt sollte es eigentlich schnell gehen, denke ich mir (es waren dann doch 2km mehr als gedacht…), laufe über die Steinstufen zum Kleinen Osser – und lege mich hin. Ausgerutscht! Und das an einer eigentlichen leichten Stelle… Aufstehen, Hände abklopfen und weiter geht es. Was ist aber das? Schneewurf hat den Aufstieg zum Kleinen Osser stark erschwert. Ich muss nicht lange überlegen und lasse das letzte Gipfelkreuz dieser Tour aus! Ich könnte schon hochklettern, aber um welchen Preis? Das ich dann wieder in ein Unwetter komm, alle länger auf mich warten und ich oben eh keinen Fernblick mehr habe. Nein, für diese Woche ist es gut. Über die Osserwiese gehe ich in den schnellen aber nicht ganz einfachen Downhill. Jetzt heißt es Vollgas. An allen möglichen Wanderern, die Auf- oder Absteigen ziehe ich im Slalom sehr schnell vorbei (warum steigt man bei dem Wetter in Turnschuhen überhaupt noch auf?) Nach dem Sattelparkplatz wird es schlagartig ruhiger, weil die meisten Wanderer einen großen Teil des Aufstiegs mit dem Auto zurücklegen. Weiter zur Kapelle Maria Hilf, bei der mich das Unwetter dann einholt. Regen, noch mehr Regen, aber zumindest kein Wind. Mareike schreibt mir, dass sie in ein Café geflüchtet sind und ich Richtung Osserbad laufen soll, damit sie mich dort empfängt und ich duschen kann. Enttäuschung macht sich ein wenig breit. Ich halte mir meinen „Zieleinlauf“ nach einer Woche am Marktplatz etwas anders vorgestellt. Egal, erstmal weiter. Ich wähle im Garmin Oregon das neue Ziel aus und laufe nun etwas langsamer, aber immer noch zügig weiter bergab.
Durch Lam geht es nun hindurch, am Marktplatz vorbei und da steht sie mit meiner Tasche und wartet auf mich. Glücksgefühle tauchen auf und ich bin unendlich dankbar. Dankbar, dass ich gesund bin und dies machen kann. Dankbar, dass alles gut gegangen. Dankbar, dass meine Frau dies unterstützt hat. Dankbar, dass ich einer solch schönen Landschaft tolle Tage verbringen durfte. Dankbar, für die vielen netten Menschen unterwegs.
Nachdem wir frisch geduscht das Café erreichen, steht für mich schon Craft-Bier und Kuchen bereit – Freunde und Familie können so etwas wunderbares sein.
Nicht wunderbar ist jedoch meine Sehne am Abend. Hinken ist angesagt, aber das geht schon wieder vorbei.
Viele Grüße,
Thorsten
Weitere Fotos findet ihr auf meinem Nikon Image Space Konto
[…] hinauf, verlaufen uns im Downhill vom Wagensonnriegel (hier hatte ich mich schon bei meinem Goldsteig-Projekt 2019 verfranzt…) und erleben, wie die Sonne langsam die Wolken verdrängt.Neuschönau wird […]
[…] diesen Tagen steht für mich folgendes fest:Das Goldsteigprojekt werde ich nächstes Jahr definitiv anpacken. Dazu in Kürze aber mehr. Viele Grüße, […]
[…] Von ihr kam auch der Vorschlag, meinen guten Laufkameraden Andy (genau der vom TAR 2016 und vom Goldsteig Projekt 2019) spontan am Donnerstag zu fragen: und siehe da – er erklärte sich bereit das ganze laufend […]