Tag 1: Von Frauenau nach Neuschönau und hinauf auf den Lusen, über den Rachel und über die Trinkwasserstalsperre zurück
- Samstag, 24. Juni
- 70 km + 2100 HM
- 12,5 Stunden
Zwei Uhr in der Nacht. Der Wecker klingelt. Halb drei das Frühstück. Kurz nach drei die Abfahrt. Ja, es wird ein sehr langer Tag werden. Müdigkeit? Zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht, weil die Vorfreude auf dieses Wochenende, auf die Erlebnisse und die gute Zeit sich einfach nur richtig und gut anfühlen.
Schon seit einiger Zeit hatten Andy und ich die Idee gehabt den Nationalpark Bayerischer Wald über den Goldsteig und den alternativen Goldsteig in einer großen Tour zu umrunden. Dabei sollte das relativ neu und ausgesprochen schön errichtete Haus auf dem Falkenstein als Zwischenstopp dienen und die Tour wurde entsprechend dieser Wunschvorstellung auch geplant – nur ohne die Rechnung mit der Unterkunft zu machen…
Wie wir dieses Jahr erfahren mussten, sind alle Übernachtungen an den Wochenenden im Jahr 2023 schon seit letztem Jahr ausgebucht. OK, das man rechtzeitig buchen muss, verstehe ich, aber ich plane doch nicht mein ganzes Sportjahr ein Jahr im voraus? Übernachtungen, Veranstaltungen, alles soll immer früher fixiert werden (ich kann die Anbieter zwar ein Stück weit verstehen, aber irgendwann verliert es den Bezug zur Lebenswirklichkeit) – und wenn dann das Leben die Pläne einholt? Die Entwicklung halte ich nicht für richtig.
Also planten wir die Route (mit Komoot, meiner liebsten Planungssoftware, und trotz der wieder anzunehmen Abweichung an Kilometern und Höhenmetern – und es wurde eine ordentliche Abweichung) um und konstruierten eine 8 mit Frauenau als Schnittpunkt und sparen uns so den Gepäcktransport im Rucksack. Eine aus der Not geborene Lösung, die sich als gar nicht so schlecht herausstellte.
Start ist um 6:00 bei leichter Wolkendecke am kostenfreien Großparkplatz direkt in Frauenau. Wir folgen den blauen Markierungen für den Alternativweg des Goldsteigs in Richtung Mauth. Die Markierungen sind nicht auf Läufer ausgelegt und auch längst nicht so häufig angebracht, wie auf dem Originalweg, weshalb wir das ein oder andere Mal ganz froh sind, die Tracks auf den Uhren zu haben. Im welligen, aber technisch nie schwierigem Gelände kommen wir Kilometer für Kilometer vorwärts und quatschen über den Sport, das Leben, die Ehe, über Wünsche und Träume. Die Zeit verfliegt und alles ist so, wie es sein sollte.
Wir passieren umgestürzte Bäume, Bohlenwege über einen weitläufigen Filz, schlagen uns auf kleine Höhenzüge hinauf, verlaufen uns im Downhill vom Wagensonnriegel (hier hatte ich mich schon bei meinem Goldsteig-Projekt 2019 verfranzt…) und erleben, wie die Sonne langsam die Wolken verdrängt.
Neuschönau wird nun genutzt, um in einem kleinen Edeka noch einmal etwas zum Trinken und zum Essen (Ich liebe Schokolade) zu kaufen, bevor wir den Weg Richtung Lusen, zum ersten der drei markanten Gipfel im Nationalpark, einschlagen.
Nun ist das Einrollen geschafft und der eigentliche Nationalpark liegt vor uns. Vorbei an der Sagwassersäge, einem alten Triftkanal, geht es auf noch immer leichten Pfaden stetig aufwärts im längsten Anstieg des Tages. Immer und immer wieder müssen Bäume überklettert werden, weil sie nach einem kürzlichen Sturm auf dem Weg liegen. In den zwei Tagen dürfte es sich auf eine stattliche zweistellige Summe addiert haben. Das geht gut, kostet aber Zeit. Genauso kostet es Zeit, als wir bei der Ankunft am Lusen Schutzhaus merken, dass die Komoot Höhenmeter und Kilometer zu niedrig angesetzt sind. Wir genehmigen uns ein paar kühle Getränke, ziehen unsere Jacken an, weil es hier oben doch ganz schön windet und setzen uns auf die Terrasse. Dank der Selbstbedienung geht aber alles zügig. Am Gipfelkreuz steigen wir über die Himmelsleiter und das bekannte Blockmeer langsam ab (ja, auch ein Trailläufer muss die Tritte suchen – zumindest wenn er nicht Kilian oder Jim heißt).
Nun sind wir da, wo wir den ganzen Tag schon hin wollten: der Goldsteig
Wir folgen der ikonischen Wandermarkierung über Schachten, durch Wälder, auf einfachen und auf schwierigen Wegen, Höhenmeter hinunter und Höhenmeter hinauf und das ganze in so unberührter und schöner Natur, die vom Sonnenlicht grandios in Szene gesetzt wird. Sobald der enge Wanderkreis rund um die großen Gipfel verlassen wird, trifft man auch nur noch wenige Menschen und die Ruhe ist wieder zurück. Wir kommen Richtung Großer Rachel, dem zweithöchsten Berg im Woid, nur eine handvoll Meter niedriger als der Große Arber, der immer mit seiner Höhe beworben wird, gut vorwärts, aber in diese Gelände dauern die Kilometer einfach. Etwas womit man sich als Trailläufer anfreunden muss, womit ich mich auch erst anfreunden musste, weil es so ungewohnt zum klassischen Laufen ist. An solchen Tagen wie heute kann meine Pace von unter 5 Minuten bis hinauf zu 20 Minuten pro Kilometer reichen.
Der Aufstieg zu unserem zweiten großen Gipfel durch die Sonne des Nachmittags wird warm (und der Sonnenbrand deutlich). Völlig alleine sitzen wir am Gipfelkreuz, trinken die letzte Cola (die Hütte hat leider seit einigen Jahren geschlossen, weil sie kernsaniert werden müsste) und beginnen uns um unser Abendessen in Frauenau zu sorgen. Der Ort ist keine Großstadt, in welcher man problemlos nach 20:00 noch Abendessen bekommt. Wir müssen weiter. Noch zehn Kilometer – und der technisch schwierigste Abschnitt des Tages liegt vor uns! Hinter dem Kleinen Rachel steigt der Goldsteig auf einem Steig, wie man ihn auch in den Alpen finden könnte, ab. Ein Highlight des Tages, aber auch extrem zeitaufwändig. Irgendwann kommt die Abzweigung zur Trinkwassertalsperre und der Weg wird nach einer Weile wieder laufbar.
Wir nehmen die Beine in die Hand, flitzen auf dem Trail südlich des Beckens vorbei und eilen über Oberfrauenau hinunter in den Zielort ohne den Wassermassen heute noch eines Blickes zu würdigen. Es ist kurz nach 18:00 und wir sind die glücklichsten Läufer an diesem Tag.
Tag 2: Von Frauenau zur Seebachschleife, hinüber zum Schwellhäusl und hinauf auf den Falkenstein
- Sonntag, 25. Juni
- 52 km + 1300 HM
- 9,5 Stunden
Wie schwer werden die Beine sein? Wie sehr würde sich der lange Vortag bemerkbar machen? Ich bin gespannt…
Nach einem ausgiebigen Frühstück (um 8 Uhr!!!) geht es locker in Frauenau los und wir laufen langsam, aber stetig über den alternativen Goldsteig auf größtenteils asphaltierten Wegen über Hügel, durch Dörfer und hinein nach Zwiesel. Die Beine scheinen zu wollen und so verstreichen die ersten Kilometer zügig – bis wir wieder vor einem starken Windwurf stehen und uns minutenlang durchs Unterholz schlagen, um ihn zu umgehen. Trotz des zeitlichen Mehraufwandes verleiht es der Tour doch etwas wildes.
Von nun an geht es stetig auf naturnahen Pfaden am Großen Regen entlang, der sich schnell durch sein breites Bett, vorbei an Filzen schlängelt und ein friedliche Atmosphäre erzeugt. So könnten wir ewig weiterlaufen – bis uns der Weg abrupt an der Seebachschleife auf der Straße ausspuckt. Trotzdem würden wir an diesem Flussabschnitt jederzeit wieder laufen! Gedanken an mein zukünftiges Pegnitz-Projekt kommen auf – Flusslaufen kann so beruhigend sein.
Der erste Anstieg des Tages bringt uns zum sehr beliebten Ausflugsziel Schwellhäusl, einer alten Triftstation, die heute als Lokal mit Biergarten von Menschen aller Altersgruppen aufgesucht wird. Ich genehmige mir eine Russenmaß, um den Flüssigkeitsverlust des schon jetzt sehr warmen Tages auszugleichen. Einkaufsmöglichkeiten wird es auf dieser Tour nicht mehr geben, also müssen wir auf solche Gelegenheiten ausweichen.
Nun heißt die Markierung: Goldsteig
Dem Goldenen-S folgen wir nun auf dem flott laufbaren Schwellsteig vorbei an sehr vielen Wanderern und Spaziergängern, bevor es zum stetigen, aber nie steilen Aufstieg hinauf zum Ruckowitzschachten geht – der Wechsel Wald auf Schachten ist jedesmal faszinierend, weil es ein solch abrupter Wechsel des Landschaftsbildes, der Vegetation, der Temperaturen und der Luft ist. Alleine dafür lieben ich den Woid schon.
Die letzten Schritte hinauf zum Gipfelkreuz sind sehr unkompliziert und deshalb auch anders, als es beim Lusen oder Rachel anfühlt. Der Große Falkenstein ist mit der neuen Schutzhütte gut ausgebaut und über einen Schotterweg auch sehr gut mit dem Rad zu erreichen. So erblickt man hier viel eher Familien, als auf den anderen zwei Gipfeln des Nationalpark-Trios.
Wir kehren kurz ein und ich genehmige mir zwei kastrierte Weizen auf einmal. Herrlich, wie das kühle Getränk den Rachen hinunterläuft.
Der technisch schwierigste Abschnitt ist nun der Steig hinab zum Höllbachgespreng und führt über viele Tritte, Stufen und vorbei an mit gelben Flechten übersehen Felsen zum schnell, wild und beeindruckend hinabfliesenden Höllbach, der durchquert werden muss.
Der Weg wird irgendwann einfacher und wir laufen endlich wieder zügiger abwärts, bis wir in Buchenau vor einer Straßensperrung stehen: eine Kuhherde wird hinab getrieben. Auf die Frage einer Touristen an den Hirten, ob das eine bayerische Rasse ist, gibt es nur eine kurze Antwort: Na, das ist kein Bayer, das ist ein Preiß
Irgendwann geht es weiter und wir freuen uns nun langsam aber stetig auf die Ankunft. Die Dammkrone der Trinkwassertalsperre Frauenau ist aufgrund ihrer Höhe noch einmal beeindruckend und im Gegensatz zu gestern interessant, bevor die letzten gut zwei Kilometer hinab in den Ort auf uns warten. Geschafft.
Ein wunderbares Wochenende geht zu Ende und der Blick richtet sich auf die Zukunft mit all seinen schönen Momenten.
Euer Thorsten