- Donnerstag, 8. Oktober 2020
- 44,3 km
- 2600 HM
- 9 h 57 min
Eigentlich kann man es nicht laut aussprechen, aber letztes Jahr, mit 35 Jahren, stand ich zum ersten Mal überhaupt auf dem Monte Baldo (mit der Gondel rauf und zu Fuß wieder herunter), war von der Landschaft, dem Ausblick auf den See, dem ungewohnt mediterranen Flair in den Bergen fasziniert und hatte den Eindruck, dass Laufen dort oben gut möglich sein könnte, ja, dass es sogar richtig danach ruft…
Begeistert von diesem Gebirge am See kaufte ich eine Wanderkarte des Massivs, überlegte hin und her und plante letztendlich eine Überquerung von Nord nach Süd, die am Wasser startet und auch wieder endet. 2 Steige sollten auf dem Weg sein, das Vorankommen verlangsamen, die Faszination erhöhen und den Berg in seiner ganzen Vielfalt zeigen.
Nur es läuft nicht ganz, wie gedacht. Frühstück im Hotel wurde gestrichen, damit um 7 ein Start in Malcésine am See möglich ist und Mareike, meine Frau, mit dem Auto wieder rechtzeitig zur Frühstückszeit im Hotel in Bardolino zurück sein kann. Leider lotse ich sie zum falschen Parkplatz am See und muss spontan die Route leicht anpassen und ein kleinen Umweg einkalkulieren – davon lasse ich mir die Laune nicht verderben, aber spüre eine leichte Anspannung. Trotz aller Fotos, Karten und Berichte, bin ich mir nicht ganz sicher, was mich in den nächsten Stunden erwarten wird. Über Serpentinen geht es endlos rauf auf den Cime di Ventrar. Zuerst durch den Wald auf leicht zu steigenden Pfaden, später an Almhütten vorbei über Freiflächen, welche sich zu dieser Tageszeit am Westhang des Baldo noch im Schatten befinden. Nun kommt der erste Steig und damit die erste Schlüsselstelle. Leicht matschig ist sie, aber problemlos zu bewältigten und damit ohne großen Zeitaufwand zu passieren. Nachdem der Aufstieg schon schnell ging und es nun ebenfalls reibungslos läuft, beginne ich mit einer Zeit von unter 8h zu liebäugeln. Von 100 auf 1700HM bisher.
Weiter an der Bergstation vorbei zum Cima delle Pozette auf 2100. Laufen war bisher nur vereinzelt möglich, aber über mein erstes Gipfelkreuz freue ich mich trotzdem. Das dichte Treiben der vielen Besucher der Bergstation lichtet sich hier und es sind nur noch Wanderer unterwegs. Die Sonne ist nun vollständig aufgestiegen und taucht den Bergrücken in ein freundliches Licht. Meine Stimmung schlägt zu diesem Zeitpunkt Purzelbäume vor Freude und ich bin so glücklich, das Projekt ausprobieren zu dürfen. Ab hier beginnt der zweite Steig, die zweite Schlüsselstelle des Unterfangens und noch bin ich sehr zuversichtlich, sehe aber schon in der Ferne das steinige Gelände…
Aber ich baut ja auch auf die flacheren Abschnitte dazwischen, um die ursprünglich geplanten 8,5 Stunden zu schaffen. Was dann jedoch folgt, ist eine alpine Fehleinschätzung! Wenn in der Karte Steig steht, dann ist es einer!!! Cima delle Pozzette bis Cima Valdritta ist für mich unlaufbar…
Eisenkette, Kraxeleien, Trittsuche, Pfadsuche, schmale Grate, steinig rauf und runter. Ich überhole sehr viele andere Wanderer, höre ihre Verwunderung über den Zeitbedarf auf diesem Abschnitt, der manchmal sogar etwas Zweifel mitschwingen lässt, bin wahrscheinlich einer der schnellsten Wanderer an diesem Tag, will hier aber eigentlich ein Läufer, ein Trailrunner sein. Nur ich kann nicht und trau mich nicht – zu tief sitzt der Schock vom Unfall im Pitztal vom letzten Jahr, bei dem ich bei einer privaten, alleine durchgeführten Lauf, durch einen abgerutschten Hang auf dem Almweg steigen wollte und vom lockeren Material noch unten gezogen wurde…
Dafür entschädigt mich hier eine Landschaft, die zum niederknien ist. Gipfelkreuze, wie am Valdritta, lasse ich aus Zeitgründen nun aus (20-30 min Umweg will ich nun nicht mehr riskieren) und kann erst wieder am P. Telegrafo längere Abschnitte laufen!
Im Süden läuft der Baldo sanfter aus und ich mache zum ersten Mal richtig Kilometer. Allerdings kann ich nicht auf der geplanten Route bleiben und muss umdenken. Hier hatte ich bei der Erstellung der GPX-Datei zu wenig Komoot mit der Wanderkarte verglichen. Über einen sanft abfallenden Grat und Wanderweg wollte ich über die Wiesen laufen – nur leider versperrt eine Kuhherde den Durchgang. Auf engstem Raum durchquetschen? Dann doch lieber umdisponieren und auf einen anderen Wanderweg ausweichen. Nach einigem hin und her erreiche ich nun noch einmal den ursprünglichen Track – Ruhe kehrt langsam ein, weil ich dem Ziel schon zum Greifen nahe bin. Plötzlich stehen zwei bellende Hunde und ein Mann mit Gewehr vor mir – ein Jäger, aber ich fühle mich trotzdem unwohl. Über gefühlt endlose Kuhweiden zieht sich nun meine Reise Richtung Gardasee, zum Lago die Garda, und Torri del Benaco. Eigentlich verdammt schön, aber die Uhr sagt jetzt 10 Stunden voraus. Dann auch noch ein Kuhgatter aus Stacheldraht. Wie bekomme ich das auf? Ich suche, finde irgendwann die Lösung und will nun nur noch auf direktem Wege zum See – was nicht ganz einfach ist. Ich verlasse den Track, nur um festzustellen, dass die Straßen auch hier in Serpentinen und weiten Bögen abwärts führen. Ich spare mir keinen Kilometer. Ich rufe nun Mareike an, dass ich an einer anderen Stelle am See herunterkommen werde und nicht mehr bis zum alten Hafen in Torri del Benaco durchlaufe. So holt sie mich (Dank Whats App Live Tracking) bei meinem letzten Kilometer am See entlang auf der Landstraße ein und sammelt mich auf. Nach 45km und 2600HM steh ich wieder am Wasser – am selben See, an dem ich heute Morgen gestartet bin.
Ein langer Tag geht zu Ende
Euer Thorsten
Weitere Fotos findet ihr auf meinem Nikon Image Space Konto