Lange habe ich damit gehadert, ob ich in der derzeitigen Situation über mein größtes Laufprojekt sprechen soll. Jeder von uns hat seine eigene Meinung zum Thema Corona und Maßnahmen; genug Zündstoff für viele Gespräche. Aber auch die erweckten Erwartungshaltung der Außenstehnden können schwierig sein. Jedoch begleitet mich die Vorbereitung nun schon seit 2 Wochen, die Planung der Vorbereitung seit vielen Wochen, die Gedanken und Hoffnungen nun seit Monaten! Zeit die Katze aus dem Sack zu lassen.
Welcher Lauf?
Ende Februar findet auf der kanarischen Insel Gran Canaria erneut der TransGranCanaria statt. Der eigentliche Hauptlauf bietet mehr als 100 km durch die Hitze und über Hügel und Berge, wobei er ein zu erwartendes Trailrennen ist: in gewissen Abständen VP´s, eine markierte Strecke, Teilnehmer um einen herum.
Diese Art von Rennen habe ich schon sehr oft gemacht bzw. mehr als 100km auch schon mehrfach – vor allem seit dem Start des zweiten Läuferlebens im Jahr 2015. Auf solche Aktionen freue ich mich noch immer, finde sie spannend, atemberaubend und unheimlich cool – aber ich bin dabei noch nie gescheitert, habe noch nie meine Grenzen gefunden, obwohl es mehr als einmal sehr hart geworden ist. Wo liegt diese? Fast könnte man glauben, ich möchte einmal scheitern – und irgendwie ist dieser Gedanke nicht ganz verkehrt. Wo kommt der Punkt, dass ich es vielleicht noch schaffe (oder auch scheitere) und trotzdem das Ende der Steigerung spüre.
Es gibt nicht viele Rennen in Europa, die dies auf verschiedenen Ebenen noch steigern – eines davon ist der TGC 360°: der teilnehmerschwächste Nebenwettbewerb dieser großartigen Veranstaltung.
Eckdaten
– jedes Jahr wechselnde Strecke, die nur wenige Tage vor dem Start bekannt gegeben wird
– ca. 260 km und 13.000 HM
– nicht markierter Kurs, d.h. selbst navigieren
– oft sehr wilder, wenig begangener Streckenverlauf auf Trails
– Abstände zwischen den VP´s deutlichst länger als gewohnt
– umfangreiche Überlebensausrüstung (dazu an anderer Stelle mehr)
– über weite Strecken sehr einsames Rennen (max. 200 Teilnehmer)
– Zeitlimit ca. 4 Tage (non-stop, kein Etappenlauf)
– geringe Finisherzahl
Wenn jetzt jemand neugierig geworden ist, dort selbst laufen möchte oder einfach nur stöbern will, dann lohnt sich ein Blick auf die Homepage des Veranstalters.
Alternativen
Mit sehr großer Sicherheit kann ich sagen, dass solch ein Rennen für mich etwas ist, was ich einmal ausprobieren möchte, die Krönung der Läuferlaufbahn sein soll – aber nichts, was ich wiederholen möchte. Dafür macht es viel zu sehr Spaß schnell auf den Trails unterwegs zu sein, die vielen wunderbaren Skyraces sehen zu können – und mehr Zeit für meine Freunde, Familie und meine Frau zu haben.
Die Alternativen zu solch einer Herausforderung (von einem Rennen mag ich hier gar nicht mehr reden) sind sehr rar. Am ehesten kommt das Goldsteig Ultrarace noch hin, wobei es technisch einfacher, dafür viel länger ist, oder die Tor de Geants, welche hochgradig alpin, aber dafür markiert und besser versorgt ist.
Training
Als Grundlage meiner Planungen dient das Buch von Kilian Jornet, der Traillegende, Uphill Athlete, welches mehr eine Anleitung zur Selbstplanung ist und weniger ein fertiger Plan. Definitiv wird in diesem Buch der sehr ambitionierte Bergläufer angesprochen, weshalb ich dies auf mich herunterbrechen musste, um damit arbeiten zu können.
Wichtig war für mich, dass ich einmal in der Woche ein vernünftiges Rumpf- und Stabitraining durchführe (schon seit vielen Jahren nicht mehr praktiziert), einmal zur Regeneration das Rad benutze und einmal Wandern gehe (am besten mit dem Rucksack vom Wettbewerb und mit dem gleichen Gewicht), um mich stärker an das lange marschieren zu gewöhnen – damit wird die Woche auch abwechslungsreicher und setzt mehr Reize. An den anderen vier Tagen heißt es laufen, eventuell auch zweimal am Tag, wenn die Umfänge steigen.
Das Training werde ich weiterhein vollständig auf Strava veröffentlichen (alle Einheiten sind mit #TGC360 gekennzeichnet)
Corona
Ja, es besteht die Möglichkeit, dass der Lauf noch abgesagt wird – wobei die Kanaren deutlich besser dastehen als Deutschland…
Für diesen Fall habe ich ein Rücktrittsrecht und bekomme meine Startgebühr zurückerstattet. Zusätzlich habe ich für 30€ ein Corona-Rücktrittsrecht gebucht, d.h. ich erhalte die Startgebühr (bei einem solchen Lauf keine Kleinigkeit) bis auf eben diesen Betrag wieder zurück. Hotel kann ich bis kurz vorher kostenlos stornieren, nur beim Flug würde ich auf einen Teil der Kosten sitzen bleiben.
Warum soll ich mir dies in der derzeitigen Situation antun? Letztendlich habe ich jetzt das Gefühl körperlich und mental in der Lage zu sein, ein solches Projekt, eine solche Herausforderung anzugehen. Es ist nicht einfach ein Ultralauf, wie viele andere, die ich Jahr für Jahr wiederholen kann; vielmehr muss die Lebensituation, die sportliche Entwicklung und der Wille stimmen – und dies ist nicht Jahr für Jahr gegeben.
Habe ich keine Angst vor dem Virus? Während diesem Lauf bin ich über Stunden oder Tage mehr oder weniger ganz alleine unterwegs – noch sicherer bin ich nur zu Hause in den eigenen vier Wänden, wenn ich nicht arbeiten gehe. Die VP´s sind nicht mit einer Getränkestation bei einem „kürzeren“ Rennen vergleichbar. Die Abstände zwischen den einzelnen Teilnehmern sind zu groß, das Teilnehmerfeld viel zu klein, um Gedränge zu erzeugen.
Die Hotels für die Zeit davor und danach haben sich schon auf die Bedingungen eingestellt und das ganze kann ohne Trubel und Risiko erlebt werden. Kritisch könnte nur der Flug werden – aber ich arbeite im Einzelhandel und bin hier auch tagtäglich einem kleinen Risiko ausgesetzt und habe mich daran gewöhnt. Das mag jemand im HomeOffice anders beurteilen, aber meine Arbeit macht einen für kritische Momente sensibler und trotzdem gelassener.
Die Freude ist nun riesig und es gibt noch viele Fragen zu klären, aber Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden!
Euer Thorsten