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Bayerwald – Grenzsteig Erkundung – anders als gedacht

  • Samstag, 23. Juli 2022
  • 62 km + 2080 HM
  • 11h 42min

Vorgeschichte

Alte Wege und Steige in einem Nationalpark die nicht mehr beworben werden, aber unter bestimmten Bedingungen noch genutzt werden können? Schon seit geraumer Zeit reizt mich dieser selten begangene und langsam zuwachsende Grenzsteig in der Nähe des Lusen im Nationalpark Bayerischer Wald.
Und warum habe ich ihn nicht schon längst erkunde, wenn er mich so reizt? Er gehört zu den nicht markierten Wegen im NP und hat damit nur einen erlaubten Betretungszeitraum vom 15. Juli bis 15. November. Das restliche Jahr über steht er unter Naturschutz und darf nicht begangen werden – und dieser Naturschutzgedanke ist mir auch verdammt wichtig! Ich liebe hier die selten gewordenen wilden Wälder und wenn ich diese auch noch länger lieben möchte, dann gibt es ein paar Regeln, die wir einhalten müssen, damit es auch so bleibt. Dazu kommt, dass ich ihn gerne auf ganzer Länge von Mauth bis Bayerisch Eisenstein laufen würde und dann die Logistik mit An-Abreise einige Überlegungen erfordert – der ÖPNV ist hierfür gänzlich ungeeignet.
Komoot und die Wanderkarten vom Kompassverlag sind hier nur bedingt hilfreich, weil aus diesen nicht mehr hervor geht, in welchem Zustand sich der Weg befindet und wie weit man ihn tatsächlich benutzen kann. Klar ist, dass wir uns nicht durch das weglose Gelände schlagen werden, eine Spur der Verwüstung hinter uns herziehen, um auf Teufel komm raus den Grenzsteinen zu folgen. Mit Hilfe von Komoot plane ich eine Route von 55km Länge mit 1700HM, bei der einige Abschnitte auf dem Steig verlaufen sollen und trotzdem viele Fragezeichen hinterlassen – Werte die wir dann tatsächlich locker überbieten konnten, dazu aber gleich mehr.


Andy, mein allerliebster Mitstreiter für solche Projekte, die einen ungewissen Verlauf haben, ist sofort mein erster Ansprechpartner und er überlegt auch nicht zweimal, ob er es ausprobieren soll. Zusammen unterstützen wir uns bei solchen Projekten physisch und psychisch so gut, dass wir uns blind aufeinander verlassen können.
Weil die Anfahrt knapp 3 Stunden mit dem Auto dauert, wir vom Ziel- zum Startort nochmal eine gute Stunde Fahrzeit haben und wir zeitig starten müssen, entscheiden wir uns für eine Anreise am Vortag und eine Übernachtung in einer günstigen Ferienwohnung. Mein Auto wird schon am Freitag in Eisenstein geparkt und die Ferienwohnung in der Nähe vom Startort in Mauth ausgewählt. Die Vorstellung ansonsten schon um 3 Uhr in der Nacht aufzustehen, um in den Wald zu fahren, ist nicht wirklich verlockend. So stellt sich die Anreise am Vortag auch im Nachgang als goldrichtig heraus und wir genießen die Stunden vorher für die ruhige Vorbereitung, einem gemütlichen Abendessen mit Schwarzbier vom Fass, Gespräche über Gott und die Welt und eine entspannte Nacht.

Auf, auf zum Steig und durch den schönsten Wald Deutschlands

Nach einem ausgiebigen Frühstück laufen wir kurz vor 8 Uhr los und steigen auf dem Goldsteig zum Lusen auf. Über Wurzeln und Steinen geht es über den Tummelplatz rauf zum Gipfelkreuz auf diesem ungewöhnlichen Blockmeer mit vielen gelben Flechten. Der Lusen ist der wohl beeindruckendste Berg im NP und geht der Sage nach auf das Wirken vom Teufel zurück. Die angekündigten Gewitter für Morgens und Nachmittags könnten sogar ausbleiben – mal abwarten. Dafür könnte es sehr schwül werden. Was besser ist? Noch unklar.


Wir steigen auf der anderen Seite etwas holprig ab und biegen auf den Grenzsteig ein. Schmale Pfade schlängeln sich durch kilometerlange Heidelbeersträucher und über Wiesen im leichten Auf- und Ab über uns völlig unbekannte Hügel, wie beispielsweise den Plattenhausriegel. Hin und wieder begegnen uns Wanderer – mehr als erwartet – und wir arbeiten uns in einem Wechsel von Gehen und Laufen durch die sehr offene Landschaft auf dem Rücken des Höhenzuges. Der Pfad ist schmal, aber immer einigermaßen gut zu erkennen, nur „leider“ schwer laufbar. Wir kommen langsam vorwärts. Lieben aber diese Landschaft und ihre Stille. Das erwartete Denkmal für die abgestürzte tschechische MIG im Kalten Krieg finden wir nicht, dafür aber immer wieder liebevoll gepflegte, bemalte Grenzsteine


Wir folgen immer dem Pfad und merken erst langsam, dass uns dieser vom Grenzsteig wegführt und hin zum Rachel leitet. Haben wir eine Abzweigung übersehen? Nein, der alte Steig muss irgendwann völlig zugewachsen sein. Ja, wir könnten zurück, ihn suchen und begehen, aber das ist vom Gefühl her keine gute Idee.

Der Pfad schlängelt sich mitten durch diese Heidelbeersträucher – ein Traum 🙂


Der kleine Pfad spuckt uns kurz vor dem Aufstieg zum Rachel wieder aus. Bisher ist alles gut gegangen und wie erwartet sehr schön gewesen. Wir steigen auf den zweiten große Gipfel im NP auf, was nicht eingeplant war aber in diesem Moment trotzdem ein gutes Gefühl hinterlässt. Ich fühle mich erstaunlich kraftvoll und gut gelaunt. Anscheinend übt der berufliche Wechsel schon einen sehr positiven Einfluss auf meine geistige Gesundheit aus. Ein Punkt ist jedoch, dass wir für diese ersten 25km 4,5h gebraucht haben. Eigentlich hatten wir für die ganze Tour mit ca. 9h gerechnet. Mal abwarten…
Die Hütte unterhalb des Gipfels hat mal wieder keinen Pächter und ist geschlossen. Also kein Weizen zur Stärkung, weil wir nicht erst bis zur Racheldiensthütte absteigen wollen.

Wir planen um und folgen dem Goldsteig Richtung Falkenstein. Langsam wird uns klar, dass die je 2 Liter Flüssigkeit nicht ausreichen werden, um komplett durchzulaufen. Der Steig kurz nach dem Rachel, ist alpin, ausgesetzt und sehr uneben – ein Traum. Er wird nicht viel begangen, weil er nicht in den Rundtouren eingeplant wird/werden kann und eigentlich nur ein Verbindungsweg ist. Wir lieben diesen Steig aber und bereuen die Entwicklung keinen Moment. Die Frage ist nur, ob wir irgendwann wieder versuchen sollen auf den Grenzsteig zu kommen. Möglichkeiten gibt es laut Karte, aber ob das noch stimmt? Wenn dann sind es keine markierten Wegen. und wir müssen sie vermutlich sehr gut suchen. Über die Schachten und Filze können wir wieder gut laufen, so gut, wie es halt im Gelände möglich ist, aber wir kommen trotzdem nur langsam voran und müssen feststellen, dass der Weg viel, viel weiter ist, als wir gedacht haben und wir deutlich mehr Zeit benötigen (letztendlich werden wir fast 3 Stunden mehr benötigen, als erwartet). Als uns klar wird, dass wir in dieser schwülen Luft viel mehr zum Trinken benötigen, verzichten wir auf das Experiment Grenzsteig Suche und bleiben auf dem Goldsteig. Langsam aber sicher gehen die Getränke zu Neige und die Hütte hat planmäßig nur bis 17 Uhr offen. Wir geben Gas. Ich bekomme einen schweren Krampf, schmeiße 4 Salztabletten ein, massiere kurz die Stelle und weiter geht es. Die Zeit drängt. Ohne Nachschub müssen wir komplett umplanen.


An einem Gebirgsbach saufe ich das Wasser, wie es hinunterströmt. Andy bleibt skeptisch, aber mein Saumagen hält es aus. Der Weg Rachel-Falkenstein zieht sich viel länger als gedacht und vor lauter Verzweiflung rufen wir in einem seltenen Moment des verfügbaren Handynetzes im Schutzhaus an. Es ist schon ein Wunder, dass wir a) Internet haben b) eine Nummer finden c) das Netz steht d) jemand rangeht und e) sie Übernachtungsgäste haben und länger offen lassen. Der Druck weicht von uns. Der Grenzsteig ist, so wie wir es geplant haben, für uns nicht umsetzbar gewesen, aber der Goldsteig ist ein Gedicht, welches wir gerne in uns aufsaugen.


Wir kommen 17:20 nach einem elendig schlappen Aufstieg dort auf der Terrasse an und ich pfeife mit unter Druckbetankung 2 Weizen (er ohne und ich mit) und einen Käse-Johannisbeeren-Kuchen rein. Ich bin wieder ein Mensch. Der Goldsteig hat bisher so viele Windungen gemacht, dass wir länger, weiter und mit mehr Höhenmetern gelaufen sind. Das wir alle drei großen Gipfel im NP mitgenommen haben, war auch nicht geplant gewesen, weshalb wir eine kurze Route bis Eisenstein konstruieren, hoffen, dass das Gewitter uns verschont und mit leichten Laufschritten in den technischen Downhill gehen. Das Zwieselerwaldhaus passieren wir zügig und marschieren dann über den letzten Hügel vor dem Ziel. Dort verlassen wir den Wanderweg und laufen auf einem breiten Schotterweg hinab in den Ort und zum abschließenden alkoholfreien Weizen.


Anders als gedacht, aber trotzdem unglaublich schön. Die gemeinsame Zeit in dieser Landschaft ist unbezahlbar.

Euer Thorsten